Die Corona‑Pandemie hat dazu geführt, dass viele Experten insbesondere aus der Wissenschaft eine hohe mediale Präsenz erhalten. Covid 19 fordert nicht nur die Expertise von Wissenschaftlern, insbesondere von Medizinern, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler heraus, sondern auch deren Umgang mit den Medien. Für diese Experten, aber auch für andere plötzlich in der Öffentlichkeit stehende Menschen kann es hilfreich sein, einige Verhaltensregeln für Gespräche mit Journalisten aus presserechtlicher Sicht kennenzulernen.
Bei jeder Kontaktaufnahme durch Journalisten, d. h. bei Anfragen um ein Gespräch, ein Interview oder auch nur um ein bloßes Hintergrundgespräch, sollte stets zunächst – durchaus selbstkritisch – das Ziel der Anfrage hinterfragt werden: Handelt es sich voraussichtlich um eine Anfrage mit positiver Zielrichtung, wie zum Beispiel die Bitte um wissenschaftliche Informationen oder um die kompetente Erläuterung von bestimmten Sachverhalten? Oder handelt es sich um eine kritische Anfrage, etwa die Bitte um Stellungnahmen zu Fehlentwicklungen, Missständen oder sonstigen kritischen Ereignissen? Auch für Journalistenanfragen, die mit positiver Zielrichtung gestellt werden, gibt es wichtige Grundregeln (Teil I). Für Journalistenanfragen mit erkennbarer kritischer Zielsetzung gelten weitere Empfehlungen (Teil II). Sollte sich während eines Gesprächs mit Journalisten überraschend herausstellen, dass die erbetenen Auskünfte zu einer voraussichtlich kritischen Medienberichterstattung beitragen sollen, kann eine besondere Reaktionsweise geboten sein (Teil III).
Allgemeine Empfehlungen für Journalistengespräche
- Unabhängig davon, ob das Gespräch mit einem Journalisten am Telefon, über das Internet, live mit oder ohne Aufzeichnung geführt wird, muss bei jedem Gespräch von Anfang an klargestellt werden, dass für etwaige Zitate ein Autorisierungsvorbehalt gilt. Der Journalist muss ausdrücklich bestätigen, dass er im Fall der Verwendung eines Zitats in direkter oder indirekter Form dieses Zitat vorher per E‑Mail zur Freigabe übermitteln wird. Ohne eine solche Freigabe dürfen Zitate nicht verwendet werden.
Die Rechtsprechung hat einen sehr hohen äußerungsrechtlichen Schutz an die Zitattreue entwickelt. Dieser Schutz von Zitaten kann jedoch nur dann wirksam durchgesetzt werden, wenn die Zitatfreigabe in schriftlicher Form, also am besten per E‑Mail, erfolgt.
- Etwas schwieriger ist die Situation in Kamera- oder Ton‑Interviews. Soweit es sich nicht um Live‑Interviews handelt, kann man sich das Recht zusichern lassen, eine Antwort in einer neuen Aufzeichnung zu wiederholen. Es ist sinnvoll, sich vor dem jeweiligen „Take“ die konkreten Fragen mitteilen zu lassen, damit man die Beantwortung der Fragen geistig vorbereiten kann. Wer das Risiko eines Live‑Interviews eingeht, sollte sich in besonderem Maße mit der Redaktion vorher über die Themen des Interviews verständigen.
- Es gibt Zitate, bei denen man besonderen Wert darauflegen muss, dass nicht einzelne Sätze auseinandergerissen und isoliert zitiert werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn isoliert zitierte Sätze missverstanden werden könnten.
Sollte dies der Fall sein, darf die Freigabe nur unter der ausdrücklichen Voraussetzung erfolgen, dass die inhaltlich zusammenhängenden Aussagen geschlossen und vollständig zitiert werden.
- Es kann Zitate geben, die man nur einmal in einem bestimmten journalistischen Format abgeben will. Ein solcher Wunsch ist unüblich. Eine beschränkte und einmalige Verwendung des Zitats oder Interviews müsste ausdrücklich vereinbart werden.
- Nicht verhindern kann man, dass ein einmal veröffentlichtes Zitat oder Interview durch andere Medien aufgegriffen und weiterverbreitet wird. Sollte allerdings eine sinnentstellende Verbreitung des Zitats erfolgen, hat man gegen eine solche sinnentstellende Verbreitung des Zitats einen sofort durchsetzbaren Unterlassungsanspruch. Ein Fehlzitat ist eine unzutreffende Tatsachenbehauptung. Dieser Unterlassungsanspruch lässt sich im Extremfall binnen weniger Stunden, im üblichen Fall innerhalb von ein bis zwei Tagen gerichtlich durchsetzen.
- Sehr häufig führen Journalisten kein Interview, sondern ein lockeres Gespräch, während dessen sie sich einzelne Passagen des Gespräches mitschreiben. Dies ist eine übliche und sinnvolle Vorgehensweise. Jedoch sollte von Anfang an im Rahmen eines solchen Gespräches klargestellt werden, dass die im Gespräch getätigten Äußerungen im Falle von Zitaten schriftlich vorgelegt und bestätigt werden müssen.
- Sollten in einem Gespräch mit Journalisten Äußerungen fallen, die höchst vertraulich sind und die der Journalist nicht medial verwerten darf, sondern nur für seine Recherche nutzen soll, so ist der Journalist hierauf ausdrücklich hinzuweisen. Er muss bestätigen, dass er die übermittelte Information nicht medial verwerten und absoluten Quellenschutz gewähren wird. Grundsätzlich sollte man nur in Ausnahmefällen und nur bei Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses zu dem Journalisten derartige Äußerungen tätigen.
- Sehr wichtig: In Interviews sollten jegliche Hinweise auf das Privatleben (Partnerin/Partner, Wohnsituation, Hobbys, Kinder etc.) vermieden werden. Die Rechtsprechung schützt auch für Personen, die aufgrund ihrer beruflichen, wissenschaftlichen Tätigkeit oder ihres gesellschaftlichen Engagements im berechtigten öffentlichen Informationsinteresse stehen, das Privatleben vor der Öffentlichkeit. Mediale Offenbarungen von privaten Details des Lebens sind ohne Zustimmung des Betroffenen unzulässig. Wenn sich aber ein Interviewpartner über die privaten Umstände seines Lebens öffentlich äußert, öffnet er gegenüber den Medien diesen geschützten Bereich. Die Rechtsprechung spricht in diesem Fall von der sogenannten „Kommerzialisierung“ des Privatlebens. Die Medien dürfen dann über die Privatsphäre berichten.
Ergänzende Empfehlungen bei erwarteter kritischer Berichterstattung
- Bei der Erwartung einer kritischen Medienberichterstattung sollten nicht mündliche Fragen beantwortet werden. Alle Fragen von Journalisten müssen auf Wunsch schriftlich gestellt werden. Sie dürfen auch schriftlich beantwortet werden. Eine ergänzende mündliche Begleitung der schriftlichen Beantwortung ist nicht ausgeschlossen, jedoch muss dabei stets deutlich gemacht werden, dass ausschließlich die schriftliche Beantwortung maßgeblich ist und zitiert werden darf.
Diese zentrale Empfehlung hat folgenden Grund. Kritische Berichterstattung ist in der Regel eine sogenannte Verdachtsberichterstattung über ein mögliches Fehlverhalten oder eine mögliche Fehlentwicklung. Eine solche Verdachtsberichterstattung ist nach der Rechtsprechung nur dann zulässig, wenn der Betroffene vor einer solchen Berichterstattung mit allen Details, die später als Verdachtshinweise in eine Berichterstattung aufgenommen werden sollen, konfrontiert wird. Ihm muss auf diese Weise Gelegenheit gegeben werden, zu diesen Details Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahme ist sinngemäß in der Berichterstattung wiederzugeben, wenn das entsprechende Verdachtsdetail in der Berichterstattung aufgenommen wird. Erfolgt dies nicht, wäre die Berichterstattung rechtswidrig. Deshalb ist die schriftliche Dokumentation der Fragen und Antworten von höchster Bedeutung.
Die Rechtsprechung verlangt, dass eine angemessene Zeit zur Stellungnahme im Rahmen der Konfrontation gegeben wird, um die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung einzuhalten Selbst bei wenigen und leicht zu beantwortenden Fragen muss diese Konfrontationszeit mindestens 24 Stunden betragen, häufig beläuft sich der angemessene Zeitraum zur Beantwortung auf mehrere Tage.
- Geht eine telefonische oder mündliche Anfrage zum Interview oder zum Informationsgespräch über ein möglicherweise kritisches Thema ein, so sollte das Gespräch nicht einfach verweigert werden. Stattdessen sollte sinngemäß geantwortet werden: „Ich bin gern bereit, Ihre Fragen zu prüfen und gegebenenfalls nach der Prüfung innerhalb eines angemessenen Zeitraums zu beantworten. Bitte senden Sie mir Ihre Fragen per E‑Mail zu.“
Dies gilt auch dann, wenn man nicht beabsichtigt, etwaige Fragen zu beantworten. Man erlangt so Kenntnisse über den möglichen Informationsstand der Redaktion und kann sich darauf einstellen. Die Beantwortung der Fragen sollte nicht ohne Rücksprache mit kompetenten Personen erfolgen, die mit dem relevanten Sachverhalt vertraut sind. Bei Erwartung einer sehr kritischen Medienberichterstattung kann es sinnvoll sein, presserechtlichen oder gegebenenfalls auch strafrechtlichen Rat hinzuziehen.
Verhaltensempfehlungen bei überraschendem Wechsel von freundlichem zu kritischem Interview
Gelegentlich suchen Journalisten das Gespräch unter dem Vorwand eines positiven Themas, um sodann mit einem gewissen Überraschungseffekt kritische Fragen zu stellen. Sollte eine solche Situation eintreten, sei es mit oder ohne Bild- oder Ton‑Aufzeichnung, empfiehlt es sich wie folgt zu reagieren: „Sie stellen jetzt Fragen zu Themen, über die wir uns vorher nicht abgestimmt haben. Selbstverständlich bin ich gern bereit, auch Fragen zu diesem Thema zu prüfen und gegebenenfalls zu beantworten. Ich bitte jedoch um Verständnis, dass ich mich hierauf vorbereiten möchte. Ich biete Ihnen gern an, dass Sie mir die Fragen schriftlich stellen, so dass ich innerhalb eines angemessenen Zeitraums darauf reagieren kann. Jedoch bitte ich um Verständnis, dass ich aus diesem Grunde das Gespräch an dieser Stelle beenden möchte.“