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EU erlässt Verbandsklage‑​Richtlinie – deutscher Gesetzgeber muss nachbessern

Die Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher wurde am 4. Dezember 2020 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Das Europäische Parlament hatte sie bereits am 24. November 2020 verabschiedet.

Ziel der Richtlinie ist es, dass es in allen Mitgliedsstaaten eine prozessuale Möglichkeit für Verbraucher gibt, ihre Rechte kollektiv durchzusetzen. Dabei unterscheidet die Richtlinie zwischen grenzüberschreitenden und rein nationalen Sammelklagen. Während bei grenzüberschreitenden Klagen relativ viele Vorgaben gemacht werden, soll die Ausgestaltung von nationalen Sammelklagen weitgehend den Mitgliedsstaaten überlassen werden.

1. Die Sammelklage im deutschen Recht

Folgende Arten von Sammelklagen sind im deutschen Recht bereits vorhanden:

Unterlassungsklage nach dem UKlaG

Nach dem Unterlassungsklagegesetz (UKlaG) haben bestimmte Stellen einen Anspruch auf Unterlassung der Verwendung unwirksamer AGB und anderer Praktiken und können diesen Anspruch durch eine Unterlassungsklage geltend machen. Zwar stellt dies keine Sammelklage im klassischen Sinn dar, weil schon der materielle Unterlassungsanspruch bei den klagebefugten Stellen – qualifizierte Einrichtungen, Verbände oder bestimmte Kammern – liegt. Hierdurch sollen aber die Interessen der Verbraucher durchgesetzt werden, die selbst wegen des Prozessrisikos und mangelnder Erfahrung nicht klagebereit sind.

Klage nach dem KapMuG

Für Kapitalanleger, die Ansprüche auf Schadensersatz wegen falscher öffentlicher Kapitalmarktinformationen und auf Erfüllung aus WpÜG‑​basierten Verträgen haben, können nach dem Kapitalanleger‑​Musterverfahrensgesetz (KapMuG) Musterverfahren durchgeführt werden. Betroffene Kapitalanleger können ihre Ansprüche in einem Klageregister anmelden. Daraufhin werden im Rahmen eines der bereits anhängigen Verfahren die Sach- und Rechtsfragen von dem zuständigen OLG einheitlich durch Musterbescheid festgestellt. Diese Feststellungen binden die Prozessgerichte, vor denen die betroffenen Kapitalanleger ihre jeweiligen Ansprüche in Folgeprozessen durchsetzen.

Musterfeststellungsklage

Schließlich wurde aufgrund des Diesel‑​Skandals die Musterfeststellungsklage in die ZPO (§§ 606 bis 614 ZPO) eingeführt. Sie ermöglicht es qualifizierten Einrichtungen, vor einem OLG auf Feststellung zu klagen. Diese Feststellungen beziehen sich auf das Verhältnis zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer und können tatsächliche und rechtliche Voraussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen betreffen. Die Verbraucher müssen ihre Ansprüche oder Rechtsverhältnisse bei einem Klageregister anmelden. Nachdem die qualifizierte Einrichtung diesbezüglich die begehrten Feststellungen erwirkt hat, können die Verbraucher in Folgeprozessen ihre individuellen Ansprüche geltend machen. Die Prozessgerichte sind wiederum durch die Feststellungen gebunden.

2. Neuerungen durch die Verbandsklage‑​Richtlinie

Die neue Richtlinie stellt verschiedene Anforderungen an die Ausgestaltung des Kollektivrechtsschutzes, hinter denen die Rechtslage in Deutschland auch nach Einführung der Musterfeststellungsklage zurückbleibt, sodass eine Nachbesserung erforderlich sein wird. Dies betrifft unter anderem folgende Aspekte:

Klageziel

Neu ist, dass die Richtlinie ein einstufiges Verfahren zur Anspruchsdurchsetzung vorsieht. Durch die Sammelklage sollen die Ansprüche der Verbraucher etwa auf Schadensersatz, Nachbesserung oder Minderung direkt geltend gemacht werden können, ohne dass es eines Folgeprozesses bedürfte (vgl. Art. 9 RL).

Qualifizierte Einrichtungen

Die Richtlinie stellt geringere Anforderungen an qualifizierte Einrichtungen als das deutsche Recht bisher in den existierenden Sammelklagearten. Während für die Musterfeststellungsklage gem. § 606 II 2 ZPO nur solche Einrichtungen klagebefugt sind, die aus mindestens zehn Verbänden oder 350 natürlichen Personen bestehen, setzt die Richtlinie keine Mindestmitgliederzahl voraus. Um für grenzüberschreitenden Verbandsklagen zugelassen zu werden, müssen qualifizierte Einrichtungen seit einem Jahr öffentlich im Verbraucherinteresse tätig gewesen sein (Art. 4 Abs. 3 RL); § 606 I 2 Nr. 2 ZPO setzt für die Musterfeststellungsklage eine mindestens vierjährige Eintragung in einer entsprechenden Liste bzw. einem Verzeichnis der EU voraus.

Verbrauchermandat

Bei Unterlassungsklagen sieht die Richtlinie vor, dass die qualifizierten Einrichtungen ohne Mandat von Verbrauchern tätig werden können, wie unter Geltung des UKlaG. Bei Klagen auf Abhilfe hingegen wird es den Mitgliedsstaaten anheimgestellt, sich entweder für ein Opt‑​in‑​System, also etwa ein Klageregister, oder aber für ein Opt‑​out‑​System zu entscheiden.

Zugang zu Beweismitteln

Nach der Richtlinie sollen die Kläger das Recht haben, bei Gericht zu verlangen, dass es die Offenlegung der Beweismittel durch die Beklagten anordnet. Ein solches System gibt es in Deutschland für den Bereich des Kartellschadensersatzes bereits aufgrund der EU‑​Kartellschadensersatzrichtlinie in §§ 33g, 89 b GWB. Dies soll den Informationsasymmetrien zwischen den Parteien entgegenwirken, könnte aber die Form eines dem deutschen Recht fremden discovery‑Verfahrens annehmen. Hier wird bei der Umsetzung darauf zu achten sein, dass nicht unverhältnismäßige fishing expeditions im US‑​amerikanischen Stil ermöglicht werden.

Prozessfinanzierung

Die Richtlinie trifft ausdrückliche Regelungen zur Drittfinanzierung der Verbandsklagen und sieht vor, dass – soweit eine solche Drittfinanzierung nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedsstaates überhaupt zulässig ist – Interessenkonflikte zu vermeiden sind und die Kollektivinteressen geschützt bleiben. Zu diesem Zweck soll es etwa verboten werden, dass ein Unternehmen Verbandsklagen gegen Wettbewerber finanziert.

Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber diesen neuen Regelungsauftrag umsetzen wird.

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