Seit dem britischen Referendum zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union schlagen die Wellen im Ärmelkanal hoch, die Unsicherheit über das künftige Verhältnis der Briten zum Rest der Europäischen Union ist groß und schädlich – für beide Seiten. Auch in Großbritannien scheint sich langsam die Erkenntnis durchzusetzen, dass durch den Austritt aus der Europäischen Union zwar möglicherweise vieles anders, kaum aber etwas besser werden wird. In wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht gilt auch dies für beide Seiten.
Die Europäische Kommission hat am 28. Februar 2018 nun den Entwurf des Austrittsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich veröffentlicht. Dem vorangegangen waren ein gemeinsamer Bericht am 08. Dezember 2017, auf den sich die Verhandlungsführer beider Seiten geeinigt hatten, dessen Inhalt allerdings zumindest von der britischen Seite kurz darauf wieder, insbesondere in Bezug auf die Zahlungsverpflichtungen, teilweise in Frage gestellt wurde.
Auch wenn der jetzt vorliegende Entwurf des Austrittsabkommens einstweilen nur die Position der Kommission darstellt und nach EU‑interner Abstimmung dann auch noch verhandelt werden muss, werden doch erste Grundzüge dessen deutlich, was zukünftig an justizieller Zusammenarbeit noch möglich sein wird.
Ein wichtiges Datum ist, dass die Kommission auf der Grundlage eines Beschlusses des Europäischen Rates von einem „Übergangszeitraum“ ausgeht, währenddessen wesentliche Vorschriften des Europäischen Rechts in Großbritannien fortgelten sollen. Dieser Übergangszeitraum wird in Artikel 121 des Vertragsentwurfs bis zum 31. Dezember 2020 beschrieben. Selbst wenn also der Austritt fristgerecht zum 30. März 2019 wirksam werden sollte, bleibt in vielen Fällen noch die Übergangszeit, um sich auf die dann endgültig vereinbarten Veränderungen einzustellen.
1. Gewerblicher Rechtsschutz
Der Vertragsentwurf (Artikel 50 ff.) sieht vor, dass gewerbliche Schutzrechte, wie z. B. Unionsmarken und Gemeinschafts‑Geschmacksmuster (Designs), die vor dem Übergangszeitraum eingetragen worden sind, automatisch in entsprechende Schutzrechte im Vereinigten Königreich umgewandelt werden, ohne dass es hierzu einer erneuten Überprüfung bedarf. Auf diese Weise dann im Vereinigten Königreich gewährte Schutzrechte müssen erst zu den ursprünglich nach Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Erneuerungsdaten erneuert werden. Die Prioritätsrechte der europäischen Anmeldungen bleiben erhalten. Dieser Umregistrierungsprozess soll für die Rechteinhaber kostenlos sein und noch nicht einmal einen Antrag oder eine Zustellungsanschrift im Vereinigten Königreich voraussetzen, die Europäischen Institutionen werden vielmehr den entsprechenden Institutionen im Vereinigten Königreich die notwendigen Daten übermitteln.
2. Zivilrechtliche Zusammenarbeit
Die kollisionsrechtlichen Regelungen der Rom‑I Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und der Rom‑II Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht bleiben anwendbar auf alle Verträge bzw. unerlaubten Handlungen die vor dem Ende der Übergangsperiode geschlossen bzw. begangen worden sind. Das bedeutet, dass sich bis dahin für das anwendbare Recht kein Änderungsbedarf in Bezug auf die Rechtswahl ergeben würde. Das uns inzwischen bekannte und bewährte System der Europäischen Kollisionsregeln bliebe zumindest alle vor dem 31. Dezember 2020 geschlossenen Verträge anwendbar und damit vorhersehbar.
Darüber hinaus bleiben für alle gerichtlichen Verfahren, die vor dem Ende der Übergangsperiode eingeleitet werden, die Bestimmungen der entsprechenden Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnungen wirksam. Erst ab dem 01. Januar 2021 würden dann gegebenenfalls jeweils unterschiedliche Anerkennungs- und Zwangsvollstreckungsregime für Urteile aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf der einen bzw. aus Großbritannien auf der anderen Seite gelten.
Es ist aber schon jetzt abzusehen, dass Großbritannien auch nach dem Ende einer solchen Übergangsperiode im Interesse des Gerichtsstandortes England ein gewisses und vermutlich großzügiges Maß an gegenseitiger Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Urteilen aus EU‑Mitgliedstaaten in Zivil- und Handelssachen, aber auch in Familiensachen und Güterrechtssachen beibehalten wird. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke. Auch die entsprechenden Zustellungsverordnungen bleiben bis zum Ende der Übergangsperiode in Kraft, ob sich danach die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke von und nach Großbritannien erschweren wird, bleibt abzuwarten.
3. Reisefreiheit
Eine in praktischer Hinsicht für viele Großbritannien‑Reisende wichtige Nachricht ergibt sich aus dem Vertragsentwurf: auch künftig soll es für EU‑Bürger möglich sein, in das Vereinigte Königreich nur mit einem Personalausweis und visumfrei einzureisen. Es bleibt zu hoffen, dass sich auf diese Weise die Einreiseformalitäten auch nach dem BREXIT nicht verlängern.
Dies alles steht allerdings erst im Entwurf der Europäischen Kommission, der nun vom Europäischen Rat und vom Europäischen Parlament beraten werden muss, bevor er der britischen Regierung offiziell übermittelt wird. Wieviel dann in den Verhandlungen noch geändert wird, ist naturgemäß noch nicht abzusehen. Man muss jedoch kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass der endgültige Vertrag von der Struktur her dem jetzt vorliegenden Entwurf stark ähneln wird. Es ist das erkennbare Bemühen der Europäischen Kommission, durch den Austritt von Großbritannien aus der EU nicht noch größere Schäden anzurichten als ohnehin schon zu erwarten sind.
Prof. Dr. Peter‑Andreas Brand
Partner
Rechtsanwalt
(brand@redeker.de)
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