Mit dem Referentenentwurf eines Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Sorgfaltspflichtengesetz) vom 15. Februar 2021 rückt die Verwirklichung des Ziels, auch inländische Unternehmen bei der Durchsetzung international anerkannter Menschenrechte in Anspruch zu nehmen, einen bedeutenden Schritt näher.
Hintergrund des Gesetzesvorhabens ist die zunehmende Bedeutung der Unternehmensverantwortung bei transnationalen Aktivitäten in den vergangenen Jahrzehnten. Mit den VN‑Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte hat die Weltgemeinschaft erstmals einen globalen Verhaltensstandard für Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte in Lieferketten geschaffen. Die dort verankerten, rechtlich nicht bindenden Sorgfaltspflichten auf dem Gebiet der Menschenrechte sind in die wesentlichen Rahmenwerke der ILO und der OECD zur verantwortungsvollen Unternehmensführung eingeflossen. Gleichzeitig bilden sie die Grundlage für den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (Nationaler Aktionsplan), den die Bundesregierung 2016 beschlossen hat.
Das Gesetzesvorhaben sieht deutsche Unternehmen durch ihre starke Einbindung in globale Absatz- und Beschaffungsmärkte in besonderer Weise mit menschenrechtlichen Herausforderungen in ihren Lieferketten konfrontiert. Betroffen sind insbesondere volkswirtschaftlich bedeutende Branchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Metallindustrie, Chemie, Textilien, Nahrungs- und Genussmittel, Groß- und Einzelhandel, Elektronikindustrie, Energieversorger.
Im Zuge der Umsetzung des Nationalen Aktionsplans wurde festgestellt, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreiche, um Unternehmen zur angemessenen Wahrung ihrer menschenrechtlichen Sorgfalt anzuhalten. Deshalb sieht das Gesetzesvorhaben eine gesetzliche Verankerung mit entsprechenden behördlichen Durchsetzungsmechanismen als geboten an.
Das Sorgfaltspflichtengesetz soll ab dem 1. Januar 2023 auf alle Unternehmen – ungeachtet ihrer Rechtsform – Anwendung finden, die ihre Hauptverwaltung oder ihren Sitz im Inland haben und in der Regel mehr als 3.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Ab dem 1. Januar 2024 soll der Schwellenwert auf 1.000 Arbeitnehmer sinken. Je nach Einsatzdauer sind bei der Berechnung auch Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen.
Zu den Menschenrechten im Sinne des Referentenentwurfs gehören unter anderem Menschenrechte, die im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II S. 1533 (IPbpR), im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19. Dezember 1966, BGBl. 1973 II S. 1569 (IPwskR) sowie im Übereinkommen Nr. 87 der Internationalen Arbeitsorganisation über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes vom 9. Juli 1948, BGBl. 1956 II S. 2072 (ILO‑Übereinkommen Nr. 87) niedergelegt sind. Sorgfaltspflichten sollen darüber hinaus mit Blick auf umweltbezogene Verpflichtungen verankert werden.
Der Referentenentwurf legt einen weiten Begriff der Lieferkette zugrunde. Er soll sich auf alle Beiträge erstrecken, die das Unternehmen verwendet, um ein Produkt herzustellen oder eine Dienstleistung zu erbringen. Dies beginnt bei der Gewinnung der Rohstoffe und geht bis zur Lieferung an den Endkunden. Erfasst werden – dies ist die entscheidende Neuerung – erwartungsgemäß das Handeln unmittelbarer und mittelbarer Zulieferer.
Unternehmen sind zur Beachtung der in dem Referentenentwurf festgelegten menschenrechtlichen Sorgfalt „in angemessener Weise“ verpflichtet. Dabei bestimmt sich die Angemessenheit des Unternehmenshandelns insbesondere nach Art und Umfang der Geschäftstätigkeit sowie nach dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher der Verletzung einer geschützten Rechtsposition oder einer umweltbezogenen Pflicht sowie nach der typischerweise zu erwartenden Schwere der Verletzung.
Der Entwurf begründet mit alledem eine Bemühenspflicht, nicht jedoch eine Erfolgspflicht oder eine Garantiehaftung.
Zu den vorgesehenen Sorgfaltspflichten gehört vor allem die Einführung eines angemessenen Risikomanagements, um Risiken zu erkennen, der Verwirklichung etwaiger Risiken vorzubeugen sowie Verletzungen geschützter Rechtspositionen zu beenden und zu minimieren, wenn das Unternehmen diese Risiken innerhalb der Lieferkette im eigenen Geschäftsbereich oder im Geschäftsbereich eines unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferers verursacht oder dazu beigetragen hat.
Hierzu hat das Unternehmen unverzüglich festzulegen, wer innerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu überwachen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten. Über dessen Tätigkeit hat sich die Geschäftsleitung regelmäßig zu informieren.
Ferner hat das Unternehmen zur Ermittlung der Risiken im Rahmen des Risikomanagements eine angemessene Risikoanalyse durchzuführen.
Stellt das Unternehmen ein Risiko fest, hat es unverzüglich angemessene Präventionsmaßnahmen in seinen Geschäftsabläufen zu verankern. Dies gilt mit Abstufungen sowohl für den eigenen Geschäftsbereich als auch gegenüber Unternehmen, mit denen eine Vertragsbeziehung besteht oder sich anbahnt. Bei mittelbaren Zulieferern sind anlassbezogen Maßnahmen zu treffen, wenn das Unternehmen substantiierte Kenntnis von möglichen Menschenrechtsverletzungen erhält. Außerdem ist die Unternehmensleitung gehalten, eine Grundsatzerklärung zu verabschieden, die eine Menschenrechtsstrategie enthält.
Stellt das Unternehmen fest, dass geschützte Rechtspositionen in seinem eigenen Geschäftsbereich oder seiner Lieferkette bereits verletzt wurden bzw. Verletzungen unmittelbar bevorstehen, hat es unverzüglich angemessene Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.
Darüber hinaus hat das Unternehmen unverzüglich ein unternehmensinternes Beschwerdeverfahren einzurichten. Dieses soll von Rechtsverletzungen betroffenen Personen ermöglichen, auf menschenrechtliche Risiken und Verletzungen hinzuweisen. Das gleiche soll für Personen gelten, die Kenntnis von einer möglichen Verletzung haben. Alternativ können die Unternehmen sich an einem entsprechenden externen Beschwerdeverfahren beteiligen, sofern es gesetzlich bestimmte Kriterien erfüllt.
Die Erfüllung der Sorgfaltspflichten sind unternehmensintern fortlaufend zu dokumentieren. Der Entwurf sieht ferner jährliche Berichterstattungspflichten vor.
Wer geltend macht, in einer der überragend wichtigen Rechtspositionen durch einen Verstoß gegen eine unternehmerische Sorgfaltspflicht im Sinne des Referentenentwurfs verletzt zu sein, kann Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen insoweit die – schriftliche – Ermächtigung zur Prozessführung erteilen.
Zuständig für die behördliche Durchsetzung und Kontrolle wird das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Das BAFA hat mit internationalen Lieferketten seit Jahrzehnten Erfahrung, gleichwohl gehört die Einhaltung universeller Menschenrechte bislang nicht zu seinem Aufgabengebiet. Fortan soll es von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden, wenn die antragstellende Person substantiiert geltend macht, infolge der Nichterfüllung einer Sorgfaltspflicht in einer Rechtsposition verletzt zu sein oder dass eine solche Verletzung unmittelbar bevorsteht.
Dabei ist das BAFA befugt, die geeigneten und erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, um Verstöße gegen die Pflichten festzustellen, zu beseitigen und zu verhindern.
Verstöße gegen die gesetzlich vorgesehenen Sorgfaltspflichten bleiben nicht folgenlos. Unternehmen, die sich nicht daran halten, können u. a. unter bestimmten Voraussetzungen von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Neben einer Sonderregelung zur Höhe eines möglichen Zwangsgelds sieht der Entwurf zudem einen Katalog von Ordnungswidrigkeitstatbeständen vor, nach dem sowohl vorsätzliche als auch fahrlässige Rechtsverletzungen mit einer – der Höhe nach im Entwurf noch nicht näher festgelegten, an dem im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatz des Unternehmens orientierten – Geldbuße sanktioniert werden sollen.
Ob der Referentenentwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes unverändert Gesetz wird, bleibt abzuwarten. Feststehen dürfte aber, dass die im Entwurf angelegten Verpflichtungen in absehbarer Zeit auf die Unternehmen zukommen werden. Sie werden sich auf die Einhaltung der Sorgfaltspflichten und den Aufbau einer umfänglichen Menschenrechts‑Compliance vorbereiten müssen. Ungemach droht ansonsten nicht nur durch von NGOs öffentlichkeitswirksam geführte Zivilprozesse, sondern auch durch verwaltungsrechtliche Zwangsmaßnahmen und den möglichen Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge. Aber auch NGOs und Gewerkschaften, die zur Prozessführung ermächtigt werden können, müssen sich rüsten, um dieser Aufgabe gerecht zu werden.
Dr. Ulrich Karpenstein
Partner
Rechtsanwalt
(karpenstein@redeker.de)
Dr. Christian Johann
Assoziierter Partner
Rechtsanwalt
(johann@redeker.de)
Dr. Roya Sangi, Máster en Filosofía Política
Counsel
Rechtsanwältin
(sangi@redeker.de)
Der Newsletter stellt keine individuelle Rechtsberatung dar und verfolgt ausschließlich den Zweck, über ausgewählte Themen zu informieren. Bei Fragen zum Newsletter wenden Sie sich bitte an einen genannten Ansprechpartner.