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Das Ende von Mengenspekulationen? – Keine Fortschreibung der Preisermittlung der Urkalkulation bei Mehrmengen sondern tatsächlich erforderliche Kosten mit angemessenen Zuschlägen

§ 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B regelt nicht die Preisbildung für Mengen von mehr als 110% der vereinbarten Menge. Wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben, müssen sie sich auf einen neuen Preis verständigen.

Eine Vereinbarung eines Berechnungsfaktors kann in der einvernehmlichen Anwendung des GU‑​Zuschlags in der Rechnungsprüfung des Auftraggebers liegen. Eine Einigung bzgl. der Berechnungsmodalitäten kann auch in einem erkennbaren gemeinsamen Vertragsverständnis zu sehen sein, dass eine Fortschreibung der Kalkulation erfolgen soll.

Haben die Parteien nichts vereinbart und einigen sie sich nicht, ist nicht die Preisbildung der Urkalkulation fortzuschreiben. Vielmehr sind die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich.

‑- (Leitsätze nach BGH, Urteil vom 08.08.2019 – VII ZR 34/18)

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt aus einem VOB/B‑​Vertrag den Beklagten auf Zahlung von Restwerklohn aus einer Einheitspreisposition in Anspruch. Für eine vorgegebene Menge von 1 Tonne war ein Einheitspreis von 462 Euro pro Tonne vereinbart. Die Klägerin hatte in ihrer Urkalkulation Kosten von 352 Euro pro Tonne in Ansatz gebracht und auf die Fremdkosten 20 % aufgeschlagen. Die Klägerin hatte 83,92 Tonnen zu entsorgen, die sie zum beauftragten Einheitspreis abrechnete. Der Beklagte verlangte von der Klägerin wegen der Mehrmengen die Vereinbarung eines neuen Preises und Auskunft über die tatsächlichen Kosten der Entsorgung. Die Klägerin hatte Kosten von 92 Euro pro Tonne. Auf dieser Grundlage errechnete der Beklagte unter Berücksichtigung des Kalkulationszuschlags der Klägerin von 20 % einen Einheitspreis von 109,88 Euro pro Tonne und zahlte diesen. Eine Einigung über einen neuen Einheitspreis für die Mehrmengen kam nicht zustande. Die Klägerin verfolgte in der Revision einen nur geringfügig reduzierten Einheitspreis weiter.

Urteil

Der BGH stellt in seiner heute veröffentlichten Entscheidung zunächst klar, dass es mit dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B für ein Preisanpassungsverlangen ausreicht, wenn mehr als 110 % der vereinbarten Menge zur Ausführung kommen. Eine daraus kausal erwachsende Veränderung der ursprünglich veranschlagten Kosten ist entgegen anderer Auffassungen nicht gefordert.

Verlangt eine Partei eine Anpassung des Einheitspreises, besteht schon nach der bisherigen Rechtsprechung ein Anspruch auf Einwilligung in einen neuen Preis – Kooperationspflicht. Im Streitfall hat das Gericht über den neuen Preis zu entscheiden (vgl. BGH VII ZR 14/04).

Wie bei fehlender Einigung die Vergütungsanpassung bei Mengenmehrungen vorzunehmen ist, ist in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nicht geregelt.

Die Vertragsparteien können sich sowohl bei Vertragsschluss, als auch nachträglich über einzelne Teilelemente, Kriterien oder Maßstäbe der Preisbildung verständigen (vgl. BGH VII ZR 142/12). Eine solche Verständigung über ein Teilelement nahm der BGH durch die Anwendung des geforderten GU‑​Zuschlags von 20 % durch beide Parteien an.

Ein gemeinsames Verständnis im Hinblick auf einen Gesamtmaßstab für die Bestimmung eines neuen Einheitspreises, etwa im Sinne einer vorkalkulatorischen Preisfortschreibung (vgl. BGH VII ZR 142/12), ist denkbar, war hier aber nicht festzustellen.

Der Vertrag enthält somit eine Lücke, da § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B keinen Maßstab zur Einheitspreisbildung beinhaltet, die Parteien sich auf einen Maßstab nicht geeinigt haben und er auch nicht aus einem allgemeingültigen Verständnis der Regelung durch die beteiligten Verkehrskreise oder einer bestehenden Übung folgt. Die Lücke ist durch ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen. Danach ist entscheidend, was die Vertragsparteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten. Keine der Vertragsparteien soll eine Besser- oder Schlechterstellung erfahren. Auf Seiten des Auftragnehmers muss eine nicht auskömmliche Vergütung und auf Seiten des Auftraggebers eine übermäßige Belastung verhindert werden.

Laut BGH sind für den neuen Einheitspreis die tatsächlich erforderlichen Kosten der über 10 v. H. hinausgehenden Leistungsbestandteile zuzüglich angemessener Zuschläge maßgeblich. Die tatsächlich erforderlichen Kosten können ohne Weiteres ermittelt werden; sie bilden die Kostenwirklichkeit am sichersten ab. Keine Partei wird übervorteilt. Der Auftragnehmer erhält für die relevanten Mehrmengen eine auskömmliche Vergütung und zugleich keinen übermäßigen Gewinn oder einen nicht auskömmlichen Preis.

Es gibt keinen Anspruch darauf, dass unternehmerische Gewinne entstehen, die sich aus der Möglichkeit ergeben, die nicht vereinbarten Mehrmengen im Vergleich zur Urkalkulation günstiger an Nachunternehmer zu beauftragen. Es bedarf nicht der vorkalkulatorischen Preisfortschreibung, um der Störung des Äquivalenzverhältnisses adäquat zu begegnen. Das Preisanpassungsverlangen betrifft nur die relevanten Mehrmengen, während die im Wettbewerb zustande gekommene Vergütungsvereinbarung unangetastet bleibt; am vereinbarten Preis für die vereinbarte Menge müssen die Parteien sich festhalten lassen. Für die Bestimmung des neuen Preises gilt das Vertragspreisgefüge gerade nicht mehr. Den Erhalt des Vertragspreisniveaus sieht die Regelung in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B nach ihrem Wortlaut nämlich gerade nicht vor.

Der Maßstab der üblichen Vergütung im Sinne des § 632 Abs. 2 BGB ist nicht anzuwenden, denn die tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge berücksichtigen den Einzelfall besser.

Praxishinweis

Es kommt für die richtige Preisermittlung sehr auf die Umstände des konkreten Einzelfalls und vertragliche und nachvertragliche Vereinbarungen an. Den Parteien stehen vertragliche Regelungen zur Preisermittlung frei. Die Höhe der angemessenen Zuschläge sollte im Vertrag geregelt werden.

Die prüfende wie die abrechnende Partei muss darauf achten, dass sie – will sie sich nicht binden – eine stillschweigende Übernahme von Kalkulationsansätzen der anderen Partei vermeidet.

Die Entscheidung bedeutet keine Abkehr von der Fortschreibung der Urkalkulation bei zusätzlichen Leistungen, da § 2 Abs. 6 VOB/B die Form der Ermittlung der Vergütung regelt. Auch wenn der Wortlaut des § 2 Abs. 5 VOB/B für geänderte Leistungen ebenfalls keine Preisermittlung vorgibt, besteht hier jedoch zumindest ein Einverständnis des Rechtsverkehrs, dass eine Fortschreibung der Preiskalkulation erfolgt (so unter Verweis auf vgl. BGH VII ZR 233/94 und VII ZR 179/98 ausdrücklich in BGH VII ZR 142/12 Rn. 14 festgestellt), so dass sich auch hier nichts ändert.

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