Ein sog. Bietungsfaktor als zusätzlicher Wertungsfaktor und eine längere Gewährleistungsfrist als Zuschlagskriterium? Welche sog. Binnen‑Gewichtung von Zuschlagskriterien ist zulässig? Nicht zuletzt mit diesen Fragen hatte sich im September 2024 die VK Bund zu befassen (vgl. VK Bund, Beschluss vom 27.9.2024, VK 2‑69/24).
Die Antragsgegnerin schrieb die Errichtung von Wohneinheiten aus und sah in ihrer Bekanntmachung u. a. folgende Unterkriterien des mit insgesamt 20 % gewichteten qualitativen Zuschlagskriteriums vor:
„Verjährungsfrist für Mängelansprüche; Gewichtung 10 %;
- […] Verbesserung der Wärmedurchgangskoeffizienten für opake Bauteile; Gewichtung 2,5 %, inkl. Einführung eines Bietungsfaktors zwischen 1 und 0;
- […] Verbesserung der Wärmedurchgangskoeffizienten für transparente Bauteile; Gewichtung 2,5 %, inkl. Einführung eines Bietungsfaktors zwischen 1 und 0.“
Die Antragsgegnerin wies insofern darauf hin, dass das Anbieten der nach Leistungen differenzierten Regelverjährungsfristen des § 13 VOB/B zu einer Wertung mit 0 Punkten führe, das Anbieten von einheitlich 4 Jahren zu 2 Punkten und für jedes weitere Jahr weitere 2 Punkte erzielt werden könnten, wobei die Höchstpunktzahl bei 10 Punkten liege.
Weiter teilte die Antragsgegnerin in den Vergabeunterlagen mit, dass die für die Verbesserung des Wärmedurchgangskoeffizienten jeweils ermittelten Punkte zusätzlich
„mit dem […] einzutragenden Bietungsfaktor (Zahl zwischen 1 und 0) multipliziert“
werden würden. Der Bieter könne damit den beiden Zuschlagskriterien eine von ihm gewollte Gewichtung geben. Für den Fall, dass die so angebotene Übererfüllung und somit das Leistungssoll aus den Bieterangaben bei der Bauausführung nicht erreicht werde,
„wird eine Abschöpfung des im Vergabeverfahren erlangten Bietungsvorteils vertraglich vereinbart“,
wobei insoweit der genaue Mechanismus der Entscheidung nicht zu entnehmen ist.
Die Antragstellerin rügte die Vorgaben der Antragsgegnerin: Eine Verjährungsfrist von bis zu 8 Jahren sei kein in § 16d EU VOB/A aufgeführtes Zuschlagskriterium und bürde den Bietern zudem ein ungewöhnliches Wagnis auf. Ferner seien die mit 5 % bzw. jeweils 2,5 % gewichteten Kriterien bloße Alibi‑Kriterien. Weiter monierte die Antragstellerin die Möglichkeit zur Angabe eines Bietungsfaktors. Nach unterbliebener Abhilfe stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag, welchen sie u. a. wie folgt begründete:
Dieser Argumentation folgt die VK Bund nicht:
Die VK Bund stellt zunächst klar, dass der Katalog der zulässigen Zuschlagskriterien in § 16d EU VOB/A nicht abschließend ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Zuschlagskriterium mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung steht. Nach § 16d Abs. 1 Nr. 2 S. 3 u. 4 EU VOB/A ist dies der Fall, wenn sich das Zuschlagskriterium in irgendeiner Hinsicht und in irgendeinem Lebenszyklus‑Stadium auf den Auftragsgegenstand bezieht, ohne dass ein Bezug zu materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes erforderlich ist. Davon ausgehend ist das Zuschlagskriterium Verjährungsfrist für Mängelansprüche nach Ansicht der VK Bund nicht zu beanstanden:
Der erforderliche Bezug zwischen dem Gegenstand in Form der Errichtung des Bauwerks und der Gewährleistungsfrist ergibt sich daraus, dass der Auftraggeber während der Dauer der Gewährleistung von dem Auftragnehmer Mängelbeseitigung verlangen kann. Je länger diese Gewährleistungsfrist ist, desto vorteilhafter für den Auftraggeber. Ferner ist die Abweichung von § 13 VOB/B insofern unschädlich, als vertragliche Bestimmungen den Regelungen der VOB/B vorgehen. § 13 Abs. 5 S. 3 VOB/B lässt Abweichungen zudem ausdrücklich zu.
Ebenso wenig liegt ein ungewöhnliches Wagnis vor. Hintergrund ist, dass die Antragsgegnerin es den Bietern überlässt, die Dauer der Gewährleistungsfrist zu bestimmen. Zwar führt eine längere als die in § 13 VOB/B vorgesehene Frist zu mehr Punkten bei der Bewertung. Die Entscheidung,
„welches rechtliche Risiko der Bieter durch eine längere Gewährleistungsfrist einzugehen bereit war, verblieb aber bei ihm selbst“.
Die VK Bund betont, dass dem öffentlichen Auftraggeber hinsichtlich der Unterkriterien und ihrer Bewertung aufgrund seines
„Bestimmungsrechts ein von den Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt überprüfbarer Festlegungsspielraum einzuräumen“
ist. Dies gilt auch bei der sog. Binnen‑Gewichtung der Unterkriterien zur Bewertung der Qualität der Leistung.
Bei dem im hiesigen Fall gegebenen Quotenverhältnis von 80 % Preis zu 20 % Qualität kann nicht angenommen werden, dass der Zuschlag unabhängig von der mit 20 % gewichteten Qualität der Leistung erteilt werden kann. Darüber hinaus kann auch ein – wie hier mit 2,5 % – gering gewichtetes Kriterium bei der Entscheidung zwischen zwei Angeboten den Ausschlag geben.
Die VK Bund berücksichtigt insofern zunächst die Verbindung zwischen Zuschlagskriterium und Auftragsgegenstand, die auch besteht, wenn
„sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht“.
Ausgehend davon ist der Bietungsfaktor nicht zu beanstanden. Der Bietungsfaktor stellt nach Ansicht der VK Bund vorliegend nur einen zusätzlichen Faktor dar:
Im 1. Schritt wird die angebotene Leistung – hier die Absenkung, also Verbesserung, des Wärmedurchgangskoeffizienten – mit dem Gewichtungsfaktor 2,5 % multipliziert und erst im 2. Schritt wird die sich ergebende Summe mit dem Bietungsfaktor zwischen 0 und 1 multipliziert. Wählt der Bieter den Wert 1, so bleibt die Summe unverändert. Eine geringere Gewichtung – d. h. letztlich weniger Wertungspunkte – ergibt sich erst, wenn der Bieter einen Wert von < 1 anbietet.
Zu berücksichtigen ist nach Ansicht der VK Bund auch, dass der Bietungsfaktor im Rahmen der Wertungsentscheidung durch die geringe Gewichtung des Kriteriums nur eine geringe Rolle spielt.
Die VK Bund bewertet die Auswirkungen des Bietungsfaktor weiter wir folgt:
„Der Bietungsfaktor wirkt sich in zweifacher Hinsicht aus: Bei der Angebotsabgabe, indem der Bieter mittels des Bietungsfaktors zum Ausdruck bringen kann, für wie wahrscheinlich er es hält, dass er die [Leistung] wie angeboten wird realisieren können“
und in der Vertragserfüllungsphase: Wenn
„sich […] im Rahmen der Leistungserbringung heraus[stellt], dass das angebotene Ziel tatsächlich nicht erreicht worden ist, [so] erfolgt im Rahmen der Abrechnung der erbrachten Leistungen eine finanzielle Abschöpfung des – in der Angebotsphase durch die höheren Wertungspunkte – erlangten Vorteils“.
In der Konsequenz steht dem Bietungsfaktor ein wirtschaftlicher Wert gegenüber, da der Wärmedurchgangswert von Bauteilen insbesondere eine Aussage über die während des Lebenszyklus des Gebäudes anfallenden Heizkosten trifft. Ein solcher mit der Bereitstellung der Leistung in Verbindung stehender Prozess ist nach dem Willen des Gesetzgebers im Rahmen der Angebotswertung berücksichtigungsfähig.
Der Bietungsfaktor stellt damit nach Ansicht der VK Bund
„eine Verknüpfung her zwischen dem Angebot und der späteren Durchführung des Vertrags nach Zuschlagserteilung“.
Indem der errechnete wirtschaftliche Vorteil bei der Wertung des Angebots wieder abgeschöpft werden kann, wird eine direkte Sanktionierung erreicht, wenn das angebotene Leistungsversprechen tatsächlich bei der Umsetzung der Leistung nicht erfüllt wird. Diese Verknüpfung ist zulässig:
„…; das Vergabeverfahren stellt keinen abstrakten, theoretischen Selbstzweck dar, sondern soll möglichst realitätsnah erfassen und mit Wertungspunkten prämieren, was bei Vertragsdurchführung auch tatsächlich geliefert wird“.
Die VK Bund stärkt bzw. betont einmal mehr den Entscheidungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers bei der Festlegung und Gewichtung der Zuschlagskriterien. Zugleich stellt die VK Bund fest, dass es durchaus zulässig ist, dem Bieter die Möglichkeit zuzubilligen, selbst zu entscheiden, mit welchem Faktor ein Zuschlagskriterium in die Bewertung einfließen soll.
Ob die VK Bund daran festhalten würde, wenn der Bietungsfaktor bei einem deutlich höher gewichteten Wertungskriterium zum Einsatz käme, bleibt abzuwarten. Ebenso konnte die VK Bund hier offen lassen, welche konkreten Erfordernisse sich durch die Einführung eines Bietungsfaktors für die Vertragsgestaltung ergeben können. Für die praktische Umsetzung bleiben damit Fragen offen.
Aus Sicht des Auftraggebers sollte im Falle der Heranziehung des Bietungsfaktors nicht aus dem Blick verloren werden, dass ein zuvor festgelegtes und gewichtetes Kriterium im Rahmen der Wertung an Bedeutung verlieren kann. Dem Bieter diese Möglichkeit zu geben, kann jedoch durchaus für alle Beteiligten auch Vorteile bringen: Der Auftraggeber erhält eine klare Aussage, für wie erfolgsversprechend der Bieter seine eigene Leistungsprognose hält und der Bieter kann seinerseits für ihn nachteiliger bzw. risikobehafteter erscheinende Kriterien geringer gewichten.
Inwieweit sich dieses Vorgehen in der Praxis durchsetzen wird, bleibt naturgemäß abzuwarten.
Sarah‑Maria Gerber
Senior Associate
Rechtsanwältin
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