Newsletter Bau- und Immobilienrecht

Lang lebe die HOAI‑​Mindestsatzklage

EuGH zur Anwendbarkeit der HOAI‑​Mindestsätze unter Privaten

  1. Ein nationales Gericht ist in einem Rechtsstreit, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht aufgrund des EU‑​Rechts verpflichtet, den HOAI‑​Mindestsatz der HOAI 2013 nicht anzuwenden.
  2. Es steht dem Gericht allerdings frei, aufgrund innerstaatlichen Rechts die Anwendung der Mindestsätze auszuschließen.
  3. Die durch die Europarechtswidrigkeit des Mindestsatzes geschädigte Partei kann Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens verlangen.

‑- (Leitsätze nach EuGH, Urteil vom 18.01.2002 – Rs. C‑261/20)

Sachverhalt

Der klagende Ingenieur war 2013 mit Leistungen gegen eine Pauschalvergütung beauftragt worden, die die Mindestsätze unterschritt. Seine Schlussrechnung stellte er auf der Grundlage der höheren Mindestsätze und machte die Differenz klageweise geltend. In den ersten beiden Instanzen erhielt er recht. Die Beklagte legte Revision ein.

Der BGH sah sich vor dem Hintergrund des Urteils im Vertragsverletzungsverfahren vom 04.07.2019 (C‑377/19) nicht selbst zur Entscheidung in der Lage, da die Dienstleistungsrichtlinie unmittelbar nur den Staat binde und in der Vorabentscheidung offengelassen wurde, ob weitere EU‑​Rechtsverstöße vorlagen. Der BGH legte daher dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor,

  • ob die Dienstleistungsrichtlinie unter Privatpersonen unmittelbare Wirkung entfalte,
  • hilfsweise, ob ein sonstiger Unionsrechtsverstoß (vor allem gegen Primärrecht) vorliege,

sodass die Mindestsätze nicht anwendbar seien. Er setzte bis zur Entscheidung des EuGH das Revisionsverfahren aus.

Urteil

Nachdem der die Entscheidungen des EuGH vorbereitende Generalanwalt in seinen Schlussanträgen dafür plädiert hatte, die Dienstleistungsrichtlinie auch im unmittelbaren Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anzuwenden, entschied der EuGH anders: Die nationalen Gerichte seien zu einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts und damit der HOAI verpflichtet. Eine Schranke bestehe aber dort, wo die Auslegung eindeutig gegen nationales Recht verstoßen würde. Dies hatte der BGH in seinem Vorlagebeschluss hinsichtlich der Mindestsätze der HOAI vorgegeben, weil es der eindeutige Wille des Gesetzgebers gewesen sei, dass die Mindestsätze gelten sollten. Dies zwang den EuGH, sich weiter mit den Vorlagefragen des BGH zu befassen.

Der EuGH entschied nun trotz bislang gegenteiliger Tendenzen in der Rechtsprechung überraschenderweise, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für den Einzelnen begründen könne. Sie könne daher nicht im Verhältnis zwischen Privaten unmittelbar angewandt werden. Im konkreten Fall hätte dies nämlich bedeutet, dass dem Ingenieur sein Recht auf den Mindestsatz genommen worden wäre.

Der EuGH entschied, dass der BGH nicht verpflichtet ist, die Mindestsätze nach § 7 HOAI a. F. nicht anzuwenden. Zugleich stellte er allerdings fest, dass es dem BGH unbenommen ist, aufgrund nationalen Rechts § 7 HOAI nicht anzuwenden.

Zugleich wies der EUGH darauf hin, dass die durch einen Verstoß gegen EU‑​Recht geschädigte Partei den daraus entstandenen Schaden vom Staat ersetzt verlangen könne.

Weitere Verstöße, insbesondere gegen das primäre Unionsrecht, das unmittelbar auch zwischen Privaten gilt, konnte der EUGH nicht feststellen, weil der Sachverhalt des Vorlagebeschlusses dafür keine Anhaltspunkte gab.

Praxishinweis

Der Schwarze Peter der Entscheidung des konkreten Falls liegt nun wieder beim BGH. Der BGH muss über die Anwendung der Mindestsätze unter Privaten entscheiden. Dem Staat ist es weiterhin verwehrt, sich auf die Geltung der HOAI zu berufen.

Auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung des BGH und des vom BGH festgestellten Willens des Gesetzgebers spricht viel für die Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung, dass die Mindestsätze anwendbar sind. Zwar ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss eine gewisse Skepsis bzgl. der Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung und die vom EuGH aufgezeigte Kompetenz, nach nationalem Recht die Anwendung der Mindestsätze zu verwerfen, bietet Spielraum für eine neue abweichende Rechtsprechung. Insoweit besteht keine Bindung des BGH an seine HOAI‑​Auslegung im Vorlagebeschluss. Denkbar wären neben der unwahrscheinlichen Neubewertung der bisherigen Rechtsprechung einschließlich der bisherigen verfassungsrechtlichen Erwägung eher ergänzende Erwägungen z. B. zur Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV, die bislang nicht vom EuGH behandelt wurde. Derartige Überlegungen könnten ein neues Vorabentscheidungsverfahren erforderlich machen. Der konkrete Fall scheint dafür aber nichts herzugeben, so dass die Frage allenfalls in anders gelagerten Fällen mit einem (weit zu verstehenden) grenzüberschreitenden Bezug aufkommen dürfte.

Wendet der BGH die Mindestsätze nicht an, wären Schadensersatzansprüche des Planers hinsichtlich der unnütz aufgewandten Verfahrenskosten vorstellbar. Wendet der BGH die Mindestsätze jedoch an, könnte ein Schaden des Auftraggebers in Höhe der Vergütungsdifferenz erwogen werden. Nach der Rechtsprechung des EUGH bestehen allerdings hohe Hürden für die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Staat:

  • Die unionsrechtliche Norm muss dem Geschädigten Rechte verleihen,
  • der Verstoß gegen diese Norm muss hinreichend qualifiziert sein und
  • zwischen dem Verstoß und dem Schaden muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen.

Ein hinreichend qualifizierte Verstoß wird in der Regel jedoch nur dann angenommen, wenn eine bestehende Rechtsprechung hinsichtlich der konkreten Rechtsfrage oder eine gefestigte Rechtsprechung in unmittelbar vergleichbaren Rechtsfragen bestand. Insoweit kommt es im besonderen Maße auf die zeitlichen Abläufe an. Wichtiger Stichtag ist das Datum der Veröffentlichung des Urteils im Vertragsverletzungsverfahren, der 04.07.2019. Allerdings wird im deutschen Staat auch eine gewisse Reaktionszeit zuzubilligen sein. Schadensersatzansprüche aufgrund der Nichtumsetzung der Dienstleistungsrichtlinie wird man so mit Blick auf die Kausalität genau zu prüfen haben.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) Teil 2 – Vertragliche Implementierung des Risikomanagements gegenüber Nachunternehmern und Lieferanten

Im ersten Teil unseres Newsletters zum LkSG haben wir einen ersten Überblick über die gesetzlichen Regelungen und die zu erfüllenden Sorgfaltspflichten gegeben. Der zweite Teil der Reihe befasst sich nun mit der praktischen Umsetzung der Anforderungen. Wir beleuchten zunächst die gesetzlichen Vorgaben bezogen auf die Risikoanalyse (§ 5 LkSG) und das Risikomanagement (§ 4 LkSG) und geben bezogen auf einzelne Themenbereiche Hinweise, wie betroffene Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben umsetzen können bzw. worauf sie achten sollten.

Da die Vorgaben des Gesetzes zwar einerseits Handlungspflichten für betroffene Unternehmen enthalten, jedoch die gesetzlichen Vorgaben mit einer Fülle unbestimmter Rechtsbegriffe umschrieben sind, ist bei deren Umsetzung,jeweils der konkrete Einzelfall zu prüfen. In der Baubranche dürften die Anforderungen an die Betroffenen mit Blick auf die sehr unterschiedlichen Bezugsquellen für Baumaterialien und Nachunternehmereinsatzformen höchst unterschiedlich sein. So treffen Unternehmen, die Betonfertigteile verwenden, die vollständig in Deutschland hergestellt werden, andere Anforderungen als Fassadenbauunternehmen, die Glasfassaden verbauen, die in China aus afrikanischem Quarzsand und russischem Aluminium hergestellt werden. Gleichsam werden Unternehmen, die im Wesentlichen mit Nachunternehmern, die Arbeitskräfte aus dem Ausland einsetzen, höhere Kontrollpflichten auferlegt. Auch Unternehmen, die komplexe zusammengesetzte Module von Lieferanten – bspw. Fertignasszellen im Hochbau – beziehen, treffen weitergehende Pflichten.

Kontrollrechte und Hinweispflichten sollten, um den Verpflichtungen nachkommen zu können, in Nachunternehmer- und Lieferverträgen entsprechend verankert werden; bei dauerhaften Geschäftsbeziehung bieten sich Regelungen in Rahmenverträgen an.. Aus den Kontrollrechten und Hinweispflichten ergeben sich auch für Nachunternehmer und Lieferanten, die vielleicht unmittelbar nicht vom LkSG betroffen sind, erhebliche Auswirkungen durch sie zukünftig treffende entsprechende vertragliche Pflichten

Die folgenden Überlegungen sollen eine Orientierungshilfe geben und ein Problembewusstsein schaffen. Sie ersetzen jedoch keinesfalls eine konkrete Einzelfallprüfung. Bei der Umsetzung sind die gesetzlichen Anforderungen je nach Größe der Unternehmen, Gesellschafts- und Konzernstruktur, der Möglichkeit der Einflussnahme der Unternehmen auf direkte oder unmittelbare Zulieferer oder der Art der Geschäftstätigkeit der Unternehmen zu prüfen und zu berücksichtigen. An einen Mittelständler mit einer klaren Gesellschaftsstruktur und über Jahre gewachsenen Geschäftsbeziehungen werden andere Anforderungen gestellt, als an große Baukonzerne mit komplexen Konzernstrukturen und bereits ausgeklügelten Compliance‑​Strukturen. Unter anderem diese Aspekte sind bei der Frage, welche konkreten Verpflichtungen die betroffenen Unternehmen der Baubranche erfüllen müssen, zu berücksichtigen.

  1. Zusammenhang zwischen Risikoanalyse und Risikomanagement

Das Gesetz schreibt vor, dass betroffene Unternehmen ein wirksames Risikomanagement einrichten müssen, vgl. § 4 Abs. 1 LkSG. Als wichtige Voraussetzung für die effektive Durchführung des Risikomanagements – und ebenfalls als Verpflichtung gesetzlich vorgesehen – ist die Risikoanalyse in § 5 LkSG geregelt. Zwar geht die Bundesregierung im Rahmen der Einschätzung bzgl. des Erfüllungsaufwandes des LkSG davon aus, dass Unternehmen aus der Branche „Baugewerbe“ lediglich eine geringe internationale Verflechtung hätten, weist aber darauf hin, dass dort „höhere menschenrechtliche Risiken“ bestünden (vgl. BT‑​Drs. 19/28649). Die Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Risikoanalyse und das Risikomanagement sollten von betroffenen Unternehmen daher ernst genommen werden.

  1. Risikoanalyse

Die Risikoanalyse soll nach der Gesetzesbegründung dazu dienen, für den Geschäftsbereich des betroffenen Unternehmens die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken sowohl für den eigenen Geschäftsbereich, als auch für den Geschäftsbereich der unmittelbaren Zulieferer zu identifizieren, zu bewerten und zu priorisieren. Sollten betroffene Unternehmen der Baubranche also bspw. Baustoffe über einen unmittelbaren Zulieferer beziehen, müssten auch – wenn der Geschäftsbereich des unmittelbaren Zulieferers betroffen ist – mögliche Risiken identifiziert, bewertet und priorisiert werden. Liegen einem Unternehmer tatsächliche Anhaltspunkte für menschenrechts- oder umweltbezogene Pflichtverletzungen bei einem mittelbaren Zulieferer vor, so ist auch dieser in die Risikoanalyse mit einzubeziehen (vgl. § 9 Abs. 3 Nr. 1 LkSG). Auf Grundlage der Analyse sollen sodann wirksame Präventions- und Abhilfemaßnahmen festgelegt werde. Dies sind in Nachunternehmer- und Lieferverträgen entsprechend zu verankern.

Wie genau die Risikoanalyse ausgestaltet sein soll, gibt das LkSG nicht vor. Es schreibt lediglich vor, dass die Risiken zu ermitteln und „angemessen zu gewichten und zu priorisieren“ sind (vgl. § 5 Abs. 2 S. 1 LkSG). Aus § 3 Abs. 2 LkSG ergibt sich, was unter einem angemessenen Handeln im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist. Die Angemessenheit hängt unter anderem von der Einflussmöglichkeit der Unternehmen ab, die zur Verfügung stehen, um Risiken zu minimieren. Nach der Gesetzesbegründung sollen bspw. auch die Beschaffungsmenge und die Größe des Unternehmens bei der Frage der „Angemessenheit“ berücksichtigt werden. Daneben sind die Schwere und die Wahrscheinlichkeit der Verletzung einer menschenrechts- oder umweltbezogenen Pflicht sowie die Art des Verursachungsbeitrags des betroffenen Unternehmens selbst maßgeblich. Auch wenn die Bundesregierung die Risiken für die Baubranche eher im Inland zu sehen scheint, bedarf es, je nach Geschäftsbereich einer genauen Analyse von Geschäftsbeziehungen mit Auslandsbezug, um die Frage der Angemessenheit adäquat beurteilen zu können. Dies betrifft insbesondere zu beschaffende Baumaterialien – z. B. was Natursteine, Quarzsand und auch Stahl und Hölzer angeht. Ein Problem stellen elektronische Komponenten dar, die häufig Rohstoffe aus und Fertigungsschritte in Risikoländern beinhalten.

Es empfiehlt sich, dass betroffene Unternehmen jetzt mit dem Aufbau von Strukturen bzw. Prozessen beginnen, die die angemessene Erstellung einer Risikoanalyse ermöglichen. Die Struktur sollte eine „abgestufte“ Risikoanalyse ermöglichen, die die gesetzlich festgeschriebenen Kriterien gemessen an der Gewichtung (die durch das Unternehmen vorzunehmen ist) berücksichtigt. Dabei kann ggf. auf bereits bestehende Compliance‑​Management- oder Risikomanagementsysteme zurückgegriffen werden, wenn die dort etablierten Strukturen auf die besonderen Anforderungen des LkSG angepasst werden können.

Durchzuführen ist die Risikoanalyse mindestens einmal jährlich. Sie muss (ergänzend) auch anlassbezogen durchgeführt werden, wenn mit einer wesentlich veränderten Risikolage zu rechnen ist (vgl. § 5 Abs. 4 S. 1 LkSG). Dies ist bspw. dann der Fall, wenn ein neues Produkt eingeführt wird, neue Projekte angegangen oder ein neues Geschäftsfeld erschlossen wird. Gerade letzterer Punkt ist für Unternehmen, die die eigene Geschäftstätigkeit durch die Übernahme eines anderen Marktteilnehmers ausweiten möchten, zu berücksichtigen. Völlig ungeklärt ist derzeit, wie die Regelbeispiele „neues Produkt“ oder „neues Projekt“ im Baubezug zu verstehen sind. Bei maßgeschneiderten Betonfertigsteilen oder Fassadenelementen können diese Regelbeispiele erfüllt sein. Hier wird jeweils eine nähere Prüfung erforderlich werden, ob eine neue Risikoanalyse durchgeführt werden muss.

Schließlich sind die Ergebnisse der Risikoanalyse an die maßgeblichen Entscheidungsträger weiterzuleiten. § 5 Abs. 3 LkSG nennt hier beispielhaft den Vorstand oder die Einkaufsleitung; andere – ähnlich geeignete Stellen – dürften aufgrund der Formulierung des Gesetzes ebenfalls in Betracht kommen. Die Festlegung der „maßgeblichen Entscheidungsträger“ und die dahinterstehenden Erwägungen sollten dokumentiert werden.

  1. Risikomanagement

a) Durchführung und Ziele des Risikomanagements

Unter Einbeziehung der Risikoanalyse soll das Risikomanagement dazu dienen, dass Risiken für die geschützten Rechtsgüter erkannt werden und der Verletzung geschützter Rechtspositionen bzw. umweltbezogener Pflichten vorzubeugen, sie zu beenden oder zu minimieren, wenn das Unternehmen die Risiken oder Verletzungen verursacht hat oder zu der Verursachung beigetragen hat (vgl. § 4 Abs. 2 LkSG).

Die betroffenen Unternehmen sind dazu verpflichtet, festzulegen, wer für die Überwachung des Risikomanagements zuständig ist, bspw. durch die Benennung eines „Menschenrechtsbeauftragten“. Über die Tätigkeit des Menschrechtsbeauftragten muss sich die Geschäftsleitung mindestens einmal jährlich informieren, vgl. § 4 Abs. 3 LkSG. Die Gesetzesbegründung empfiehlt den Unternehmen, die Stelle des Menschenrechtsbeauftragten unmittelbar der Geschäftsleitung zu unterstellen. Auch, wenn dies nicht zwingend ist, dürfte die direkte Unterstellung sinnvoll sein, da so mögliche innerbetriebliche Reibungspunkte minimiert werden können. Die Funktion des Menschenrechtsbeauftragten kann dabei grundsätzlich auch von jemanden übernommen werden, der bereits eine anderweitige Beauftragung innehat, solange Interessenkonflikte ausgeschlossen sind.

b) Wessen Interessen müssen betroffene Unternehmen berücksichtigen?

Neben den formalen Vorgaben von Zuständigkeiten und den Anforderungen an das Risikomanagement, stellt § 4 Abs. 4 LkSG klar, wessen Interessen bei der Errichtung bzw. der Umsetzung des Risikomanagements durch das Unternehmen zu berücksichtigen sind. Hierzu zählen neben den Interessen der eigenen Beschäftigten des Unternehmens auch die Interessen aller Beschäftigten innerhalb der Lieferkette. Der Begriff „Beschäftigte“ wird in der Gesetzesbegründung dahin konkretisiert., dass „Beschäftigte“ nicht lediglich die jeweiligen Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen sind, sondern auch zuliefernde Selbstständige und sog. „informell Beschäftigte“ (bspw. „Schwarzarbeiter“).

Eine weitere Ausweitung erfährt der Anwendungsbereich durch die Aufnahme derjenigen, die durch das wirtschaftliche Handeln des Unternehmens in seinen Lieferketten in einer geschützten Rechtsposition mittelbar betroffen sein können. Zu den mittelbar Betroffenen zählen auch Personen, die im direkten Umfeld von Produktionsstätten angesiedelt sind. Unmittelbar betroffen können zudem juristische Personen, Personenvereinigungen und Gremien sein, wenn sie von dem persönlichen Schutzbereich der in § 2 Abs. 1 LkSG genannten Menschenrechte fallen, bspw. Gewerkschaften.

Die Identifizierung der Betroffen kann, bei der Beschaffung von Baustoffen aus dem Ausland, einen hohen Aufwand für die betroffenen Unternehmen mit sich bringen. Es empfiehlt sich daher, bereits frühzeitig Mechanismen festzulegen, wie Betroffene identifiziert und die Interessen berücksichtigt werden können. Hierzu sind insbesondere bei der Vertragsgestaltung der Liefer- und/​oder Nachunternehmerverträge entsprechende Mitteilungs- und Hinweispflichten sowie Auskunftsrechte ein sinnvoller Beitrag, um den Anforderungen des Gesetzes Rechnung zu tragen.

c) Wie muss das betroffene Unternehmen die Interessen berücksichtigen?

Wie betroffene Unternehmen die Interessen der unmittelbar und mittelbar Betroffenen angemessen berücksichtigen sollen, legt das Gesetz selbst nicht fest. Die Unternehmen haben erneut Gestaltungsspielraum.

Die Gesetzesbegründung gibt den Unternehmen in diesem Zusammenhang beispielhaft die Kontaktaufnahme mit eventuell betroffenen Personen oder mit einer berechtigten Interessenvertretung als geeignete Instrumentarien an die Hand. Zudem kann der nach § 8 LkSG einzurichtende Beschwerdemechanismus bei der Handhabung des Risikomanagements genutzt werden. Hierbei handelt es sich letztlich um eine Whistleblower‑​Regelung. Auch die Einrichtung eines solchen Beschwerdemanagements kann den unmittelbaren Vertragspartnern im Wege vertraglicher Vereinbarungen vorgegeben werden. Verweigert der Vertragspartner eine Umsetzung unter Verweis auf seine Marktstellung, so ist bereits durch die Vertragsverhandlungen dokumentiert, dass eine Einflussnahmemöglichkeit auf den unmittelbaren Vertragspartner allenfalls begrenzt besteht.

  1. Fazit

Der sehr weite Anwendungsbereich und das Ineinandergreifen der verschiedenen Stufen der Risikobeurteilungen führt dazu, dass betroffene Unternehmen äußert bedacht bei der Umsetzung der Vorgaben vorgehen sollten. Der Blick darf nicht lediglich nach „innen“ auf die eigenen Prozesse und Strukturen im betroffenen Unternehmen gehen, vielmehr sind auch diverse Faktoren bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigen, die sich außerhalb des eigenen „Herrschaftsbereichs“ befinden. Gerade weil der Anwendungsbereich so weit gefasst ist, sollten sich betroffene Unternehmen frühzeitig damit auseinandersetzen, wo eventuell Risiken für geschützte Rechtspositionen und umweltbezogene Pflichten bestehen könnten und wie diese Risiken mit Hilfe der gesetzlich vorgesehenen Mechanismen identifiziert, verhindert oder zumindest minimiert werden können. Diesen Risiken ist regelmäßig durch die Verankerung entsprechender vertraglicher Mechanismen wie Kündigungsrechte, Hinweispflichten und Auskunftsrechte etc. und Informationspflichten (auch bereits im Vergabeprozess) entgegen zu wirken. Es kann daher nur dringend dazu geraten werden – neben der Einrichtung bzw. Anpassung der Compliance‑​Strukturen – die bestehenden Lieferanten- und Nachunternehmerverträge risikobasiert zu prüfen und entsprechend zu ergänzen bzw. überarbeiten.

Vanessa Offermanns

Vanessa Offermanns
Senior Associate

Rechtsanwältin
(offermanns@redeker.de)

Pascal Göpner

Pascal Göpner
Senior Associate

Rechtsanwalt
(goepner@redeker.de)

Weiterer Handlungsbedarf im Bereich Compliance

Das LkSG fordert auch Bauunternehmen eine professionelle und auf das Gefahrenpotential der Vertragsbeziehungen individualisierte Compliance‑​Struktur ab, die über ein reines Vertragsmanagement hinausgeht. Das Compliance‑​Management selbst, wie auch die Implementierung eines Menschenrechtsbeauftragten und die Einrichtung eines Beschwerdemanagements müssen bei mittelständischen Bauunternehmen vielfach erstmalig aufgebaut werden. Auch Konzerne müssen ihre Compliance‑​Struktur überprüfen und ggf. an die Anforderungen des LkSG anpassen.

Bei Fragen zum Compliance‑​Management stehen Ihnen Dr. Michael Winkelmüller und Florian van Schewick als Ansprechpartner zur Verfügung.

Chancen in der nachhaltigen Beschaffung

Gleichzeitig bietet das LkSG mit seinen Anforderungen an die Baubranche auch die Chance, die eigenen Unternehmen bei der Beschaffung von Baustoffen „fit“ für nachhaltiges Bauen zu machen und den Auftraggebern einen Mehrwert anzubieten. Gerade ESG‑​Investments, aber auch öffentliche Auftraggeber setzen bei der Beschaffung zunehmend auf besondere Vorgaben für die einzusetzenden Baumaterialien oder die Erreichung von bestimmten Nachhaltigkeitszertifikaten wie DGNB, LEED oder BREEAM. Das LkSG kann insoweit auch einen ersten (notwendigen) Schritt für die Umstrukturierung der eigenen Beschaffungs- und Vertragsprozesse auf ein nachhaltiges Modell mit sich bringen.

Bei Fragen zu Green Contracts, ESG‑​Investements, nachhaltigem Bauen und der Schaffung von nachhaltigem Wohnraum stehen Ihnen Alexander Leidig und Dr. Marco Rietdorf als Ansprechpartner zur Verfügung.

Alexander Leidig

Alexander Leidig
Partner

Rechtsanwalt
(leidig@redeker.de)

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Kommentar zu §§ 631 ff. BGB samt systematischen Darstellungen sowie Kurzkommentierungen zu VOB/B, HOAI und BauFordSiG

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