Die HOAI hat nur noch Orientierungscharakter und ist hinsichtlich ihrer preisrechtlichen Vorgaben nicht länger zwingend. Mindest- und Höchstsätze werden zu „Basishonorarsätzen“ und „oberen Honorarsätzen“.
Seit Inkrafttreten der HOAI im Jahr 1977 müssen vereinbarte Honorare für die in der Verordnung abgebildeten Architekten- und Ingenieurleistungen zwingend zwischen Mindest- und Höchstsatz liegen. Mit Urteil vom 4.7.2019 (C‑377/17) hat der EuGH festgestellt, dass die HOAI in der bislang geltenden Fassung vom 10.7.2013 gegen die europäische Dienstleistungsrichtlinie verstößt. Der zwingende Charakter der Mindest‑und Höchstsätze der HOAI ist unverhältnismäßig. Insbesondere wird EU‑ausländischen Architekten und Ingenieuren der Zugang zu dem deutschen Markt erschwert. Es ist ihnen verwehrt, unterhalb der Mindestsätze liegende Marktzugangspreise für ihre Leistungen anzubieten, um sich auf dem nationalen Markt zu etablieren. https://www.redeker.de/de/newsletter/bau‑und‑immobilienrecht‑4‑2019
Das Urteil beschränkt sich auf die Feststellung eines Verstoßes gegen Europarecht. Der EuGH ist nicht befugt, nationales Recht außer Kraft zu setzen. Die HOAI 2013 galt daher bis zum 31.12.2020 unverändert fort. Ab dem 1.1.2021 gilt nun eine neue HOAI für neue Vertragsverhältnisse. Für die Übergangsphase seit dem 4.7.2019 entstanden kontrovers diskutierte Rechtsfragen: Muss in einem Vergabeverfahren ein Angebot unterhalb des Mindestsatzes ausgeschlossen werden? Kann das Honorar eines vor dem 4.7.2019 begründeten Planervertrages nachträglich abgeändert werden? Ist es weiterhin möglich, im Wege sog. Aufstockungsklage das Mindesthonorar zu beanspruchen, obwohl zuvor ein niedrigeres Honorar vereinbart worden war?
Der deutsche Gesetzgeber war gemäß Art. 260 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) verpflichtet, den festgestellten Verstoß gegen Unionsrecht durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen. Auf welche Art und Weise dies geschieht, gibt der EuGH nicht vor. Es wäre möglich gewesen, den Anwendungsbereich der HOAI zu beschränken und an den zwingenden Mindest- und Höchstsätzen festzuhalten. Bislang galt die HOAI leistungsbezogen für alle geregelten Ingenieur- und Architektenleistungen unabhängig von der Person des Leistungserbringers und seiner Qualifikation. Mit einem solchen offenen Anwendungsbereich ist die HOAI nach dem Urteil des EuGH insgesamt inkohärent und unsystematisch ausgestaltet, wenn gleichzeitig die Ziele der HOAI (insb. Qualität der Planungsleistungen) „nur“ durch den zwingenden Preisrahmen verfolgt werden.
Mit der am 16.9.2020 beschlossenen und zum 1.1.2021 in Kraft getretenen neuen HOAI wählte der deutsche Gesetzgeber jedoch einen anderen Weg. Er hält am offenen Anwendungsbereich fest und gab den zwingenden Charakter von Mindest- und Höchstsätzen auf. Die bisherigen Mindestsätze werden nunmehr als Basishonorarsätze bezeichnet. Die in der HOAI weiterhin enthaltenen Honorartafeln stellen unverbindliche Orientierungswerte dar. Hierzu wird ein neuer § 2a HOAI 2021 eingeführt:
§ 2a HOAI 2021 – Honorartafeln und Basishonorarsatz
(1) Die Honorartafeln dieser Verordnung weisen Orientierungswerte aus, die an der Art und dem Umfang der Aufgabe sowie an der Leistung ausgerichtet sind. Die Honorartafeln enthalten für jeden Leistungsbereich Honorarspannen vom Basishonorarsatz bis zum oberen Honorarsatz, gegliedert nach den einzelnen Honorarzonen und den zugrundeliegenden Ansätzen für Flächen, anrechenbare Kosten oder Verrechnungseinheiten.
(2) Basishonorarsatz ist der jeweils untere in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltene Honorarsatz.
Die HOAI‑Parameter werden beibehalten und können zur Berechnung eines Honorars herangezogen werden.
Für wirksame Honorarvereinbarungen entfällt das strenge Schriftformerfordernis. Gemäß § 7 Abs. 1 HOAI 2021 ist nunmehr Textform nach § 126b BGB ausreichend, sodass auch eine elektronische Übermittlung der wechselseitigen Abreden ausreichend ist. Vorgaben für den maßgeblichen Zeitpunkt einer Honorarvereinbarung (bislang: „bei Auftragserteilung“) enthält die HOAI 2021 nicht mehr. Eine Honorarvereinbarung kann also auch später abgeschlossen werden, was wegen der damit verbundenen Risiken natürlich vermieden werden sollte. Fehlt eine Honorarvereinbarung oder wird die Textform nicht eingehalten, enthält auch die HOAI 2021 eine gesetzliche Fiktion hinsichtlich der Honorarhöhe: Es gilt der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart. Auf die Möglichkeit, von den Honorartafeln nach oben oder unten abzuweichen, hat der Planer einen Verbraucher nach § 7 Abs. 2 HOAI 2021 hinzuweisen.
§ 7 HOAI 2021 – Honorarvereinbarung
(1) Das Honorar richtet sich nach der Vereinbarung, die die Vertragsparteien in Textform treffen. Sofern keine Vereinbarung über die Höhe des Honorars in Textform getroffen wurde, gilt für Grundleistungen der jeweilige Basishonorarsatz als vereinbart, der sich bei der Anwendung der Honorargrundlagen des § 6 ergibt.
(2) Der Auftragnehmer hat den Auftraggeber, sofern dieser Verbraucher ist, vor Abgabe von dessen verbindlicher Vertragserklärung zur Honorarvereinbarung in Textform darauf hinzuweisen, dass ein höheres oder niedrigeres Honorar als die in den Honorartafeln dieser Verordnung enthaltenen Werte vereinbart werden kann. Erfolgt der Hinweis nach Satz 1 nicht oder nicht rechtzeitig, gilt für die zwischen den Vertragsparteien vereinbarten Grundleistungen anstelle eines höheren Honorars ein Honorar in Höhe des jeweiligen Basishonorarsatzes als vereinbart.
Im Übrigen ist nun der Widerspruch zwischen dem seit dem 1.1.2018 geltenden vorrangigen Bauvertragsrecht hinsichtlich der Fälligkeit und Abschlagszahlungen durch die Streichung der HOAI‑Regelungen beseitigt.
Im Ergebnis bedeutet die Reform:
Vereinbaren die Parteien nicht mindestens in Textform anderes, ändert sich aber im Ergebnis letztlich nichts.
Dr. Udo Söns
Partner
Rechtsanwalt
(soens@redeker.de)
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