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Anspruch auf Mutterschutz künftig auch bei Fehlgeburten

Am 27. Februar 2025 wurde das „Gesetz zur Anpassung des Mutterschutzgesetzes und weiterer Gesetze – Anspruch auf Mutterschutzfristen nach einer Fehlgeburt“ im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I, Nr. 59). Es sieht einen gestaffelten Anspruch auf Mutterschutz bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche vor und soll somit »einen Schutzraum« für betroffene Frauen schaffen. Das Gesetz tritt am 1. Juni 2025 in Kraft.

I. Bisherige Rechtslage

Schwangere und stillende Mütter sind durch ein grundsätzliches Kündigungsverbot geschützt, von dem die zuständige Behörde nur in besonderen Fällen eine Ausnahme zulassen kann. 2018 wurden auch Frauen, die nach der 12. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, für die Zeit bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Fehlgeburt in dieses Kündigungsverbot einbezogen.

Der Schutz Schwangerer und stillender Mütter innerhalb des bestehenden Arbeitsverhältnisses wird durch die Schutzfristen 6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt (§ 3 MuSchG) sowie durch Beschäftigungsverbote und Verpflichtungen des Arbeitgebers, die dem Schutz der Mutter und des (werdenden) Kindes dienen (§§ 4–6, 7 und 9 MuSchG), bewerkstelligt. Nach derzeitiger Rechtslage haben Frauen, die vor der 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, keinen Anspruch auf Mutterschutz nach § 3 MuSchG. Sie sind also nicht automatisch 8 Wochen nach der Fehlgeburt freigestellt, sondern können der Arbeit nur dann fernbleiben, wenn sie z. B. infolge der Fehlgeburt krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind.

Dies beruht darauf, dass die Schutzfristen des § 3 MuSchG an eine „Entbindung“ anknüpfen. Der Begriff „Entbindung“ ist im MuSchG bislang nicht näher definiert. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stützt sich zur Bestimmung des Begriffs auf die in § 31 Abs. 1, 2 der Personenstandsverordnung (PStV) enthaltenen Definitionen einer Lebend- und Totgeburt. Eine Totgeburt (= Entbindung) liegt danach nur dann vor, wenn entweder das Gewicht des Kindes mindestens 500 Gramm beträgt oder wenn das Gewicht des Kindes zwar weniger als 500 Gramm beträgt, aber die 24. Schwangerschaftswoche erreicht ist (BAG vom 12.12.2013 – 8 AZR 838/12).

II. Inhalt und Hintergrund der Gesetzesänderung

Mit der gesetzlichen Neuregelung wird für Frauen, die eine Fehlgeburt erleiden, ein zeitlich gestaffelter Mutterschutz eingeführt. Dies gilt nicht nur für abhängig beschäftigte Frauen, sondern auch für selbstständig tätige Frauen, die gesetzlich krankenversichert sind. Auch Soldatinnen und Beamtinnen erhalten im Falle einer Fehlgeburt einen Anspruch auf Mutterschutz.

1. Definition einer „Entbindung“

Um der besonderen Belastungssituation von Frauen nach einer Fehlgeburt Rechnung zu tragen, wird § 2 MuSchG um einen sechsten Absatz ergänzt:

„(6) Eine Entbindung ist eine Lebend- oder Totgeburt. Die Regelungen zur Entbindung finden im Falle einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche entsprechende Anwendung, soweit nicht in diesem oder einem anderen Gesetz Abweichendes geregelt ist.“

Mit § 2 Abs. 6 S. 2 MuSchG hat sich der Gesetzgeber zum einen einer Stellungnahme zu der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG vom 21.8.2024 – 1 BvR 2106/22) kritisch betrachteten Rechtsprechung des BAG, die an den personenstandsrechtlichen Begriff der Entbindung angeknüpft hat (s. o.), enthalten und ihr zugleich durch den berühmten „Federstrich des Gesetzgebers“ den Boden entzogen.

2. Schutzfristen nach einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche

In § 3 MuSchG wird ein Absatz 5 angefügt, der – abweichend von § 3 Abs. 1 bis 4 MuSchG – einen gestaffelten Anspruch auf Mutterschutz bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche vorsieht:

„(5) Bei einer Fehlgeburt darf der Arbeitgeber eine Frau nicht beschäftigen, soweit sie sich nicht zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt,

1. bis zum Ablauf von zwei Wochen bei einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche oder

2. bis zum Ablauf von sechs Wochen bei einer Fehlgeburt ab der 17. Schwangerschaftswoche oder

3. bis zum Ablauf von acht Wochen bei einer Fehlgeburt ab der 20. Schwangerschaftswoche.

Sie kann ihre Erklärung nach Satz 1 jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht.“

Die Regelung soll den betroffenen Frauen ermöglichen, selbstbestimmt zu entscheiden, ob sie eine Schutzfrist in Anspruch nehmen oder nicht.

Ferner entfällt mit der Regelung von Schutzfristen die Notwendigkeit eines ärztlichen Attests nach einer Fehlgeburt, obgleich bei Bedarf weiterhin die Möglichkeit besteht, ein solches einzuholen – etwa wenn betroffene Frauen sich dazu entscheiden, über das persönliche Ereignis am Arbeitsplatz weiter zu schweigen.

Anstoß für die Neuregelung gab eine Petition aus dem Jahr 2022. Sie stieß auf große Resonanz und rückte zunehmend in den Fokus der politischen Debatte. Der Gesetzesbeschluss des Bundestages erfolgte mit großer Mehrheit.

3. Mutterschaftsgeld nach einer Fehlgeburt

Gemäß § 19 Abs. 1 MuSchG besteht für die Zeit der Mutterschutzfristen sowie für den Entbindungstag ein Anspruch auf Mutterschaftsgeld nach den Vorschriften des SGB V. Flankiert wird diese Regelung durch die Änderung des § 24i Abs. 3 SGB V, der nunmehr lautet:

„(3) Das Mutterschaftsgeld wird für die Zeit der Schutzfrist nach § 3 des Mutterschutzgesetzes sowie für den Entbindungstag gezahlt. Für die Zahlung des Mutterschaftsgeldes vor der Entbindung ist das Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme maßgebend, in dem der voraussichtliche Tag der Entbindung angegeben ist. Für Mitglieder, deren Arbeitsverhältnis während der Schutzfristen nach § 3 des Mutterschutzgesetzes beginnt, wird das Mutterschaftsgeld von Beginn des Arbeitsverhältnisses angezahlt.“

Die Gesetzesbegründung stellt ausdrücklich klar, dass der Arbeitgeber im Falle eines Beschäftigungsverbots einen Anspruch auf vollständige Erstattung der mutterschutzrechtlichen Leistungen im Rahmen des U2‑Umlageverfahrens hat.

IV. Bewertung und offene Fragen

Mit der Einführung eines gestaffelten Mutterschutzes für Fehlgeburten ab der 13. Schwangerschaftswoche schafft der Gesetzgeber mehr Rechtssicherheit für Arbeitnehmerinnen nach einer Fehlgeburt. Wie viele Frauen die Neuregelung jährlich betrifft, ist unklar. Unter Berufung auf Recherchen des Fraunhofer‑​Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT) schätzt das Familienministerium, dass es jährlich etwa 90.000 Fehlgeburten gibt. Etwa 6.000 Fehlgeburten ereigneten sich zwischen der 13. und 24. Schwangerschaftswoche. Den Großteil der Fehlgeburten (84.000) erleiden Frauen jedoch bis zur 12. Schwangerschaftswoche.

Für Arbeitgeber bedeutet die Neuregelung tendenziell eine finanzielle Entlastung. Während die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) vom Arbeitgeber zu tragen ist und nur kleine Arbeitgeber mit in der Regel nicht mehr als 30 Arbeitnehmern gegenüber der Krankenkasse Anspruch auf Erstattung von 80 % im Rahmen des U1‑Umlageverfahrens haben, hat der Arbeitgeber nunmehr einen Anspruch auf vollständige Erstattung der mutterschutzrechtlichen Leistungen im Rahmen des U2‑Umlageverfahrens.

Bei einer Fehlgeburt vor der 17. Schwangerschaftswoche kann es für die Frau günstiger sein, nicht oder zunächst die Schutzfrist in Anspruch zu nehmen und bei einer (fort)bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit von Beginn an oder anschließend Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu beanspruchen.

Ist ein Missbrauch der Schutzfristen ausgeschlossen? Insoweit ist manches unklar und hätte man sich eine gründlichere Prüfung der Fragen durch den Gesetzgeber gewünscht. Vor allem geht es um die Frage, ob eine Nachweispflicht in Bezug auf die Fehlgeburt besteht und ggf. wann sie zu erfüllen ist und wie weit sie reicht. Hier lassen sich einige Eckpunkte aus der Rechtsprechung des BAG festhalten, die richtungsweisend sein könnten:

Über eine Schwangerschaft „soll“ die Frau den Arbeitgeber unterrichten und auf Anforderung „soll“ sie einen Nachweis erbringen, eine Verpflichtung wird hierdurch nicht begründet.

Eine Arbeitnehmerin, die dem Arbeitgeber das Bestehen einer Schwangerschaft mitgeteilt hat, ist jedoch verpflichtet, den Arbeitgeber unverzüglich zu unterrichten, wenn die Schwangerschaft, etwa aufgrund einer Fehlgeburt, vorzeitig endet (BAG vom 18.1.2000 – 9 AZR 932/98).

Zwar hat das BAG entschieden, dass, wenn die von der Arbeitnehmerin geschuldete Arbeitsleistung so beschaffen ist, dass sie trotz Schwangerschaft unverändert weiter erbracht werden kann, dass die Geltendmachung eines Anspruches auf Fortzahlung der Vergütung aus § 615 BGB gegen Treu und Glauben verstoßen könne, weil dann daran zu denken sei, dass die Arbeitnehmerin diese Leistung des Arbeitgebers alsbald als Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Nachweispflicht zurückgewähren müsste (BAG vom 6.6.1974 – 2 AZR 278/73). Diese Überlegungen passen jedoch auf die vorliegende Konstellation unter mehreren Gesichtspunkten nicht.

Der Umstand, dass durch die Krankenkasse Mutterschaftsgeld gezahlt wird, ist für den Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld gegenüber dem Arbeitgeber nicht anspruchsbegründend (BAG vom 22.8.2012 – 5 AZR 652/11; BAG vom 25.2.2004 – 5 AZR 160/03). Misst man jedoch diesem Umstand Indizwirkung dafür bei, dass die Voraussetzungen auch für einen Anspruch auf Zuschuss zum Mutterschaftsgeld vorliegen, wird der Arbeitgeber ggf. ernstliche Zweifel an einer Fehlgeburt begründen müssen, um eine Nachweispflicht der Arbeitnehmerin zu begründen.

Der Gesetzesentwurf der CDU/​CSU (BT‑​Drs. 20/14241) nimmt (ohne Begründung) an, dass Frauen nach einer erlittenen Fehlgeburt dem Arbeitgeber und der Krankenkasse eine ärztliche Bescheinigung vorlegen (S. 11) und dass die Arbeitgeber die Bescheinigungen prüfen und dann die Zahlungen an die Betroffenen anweisen (S. 12). Der Nachweis einer erlittenen Fehlgeburt durch ein ärztliches Attest ist der betroffenen Frau, die die Schutzfrist in Anspruch nimmt, aber auch der Frau, die sich zunächst ausdrücklich bereiterklärt, weiterzuarbeiten, jedenfalls zumutbar. Der Gesetzgeber wollte der Frau lediglich eine Krankschreibung eines Arztes bzw. einer Ärztin ersparen. Hierdurch wird ein gerechter Ausgleich der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmerin geschaffen. Während der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran haben kann, sich eine erlittene Fehlgeburt nachweisen zu lassen, um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme der Schutzfrist vorzubeugen, ist die Arbeitnehmerin aufgrund der mit einer Fehlgeburt einhergehenden körperlichen und psychischen Belastung vor weiteren emotionalen Beeinträchtigungen zu verschonen. Ein bloßes ärztliches Attest über die Fehlgeburt ist für die Betroffene nach den Überlegungen des Gesetzgebers weniger belastend als eine aktive Krankschreibung durch einen Arzt.

Axel Groeger

Axel Groeger
Partner

Rechtsanwalt
(groeger@redeker.de)

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