Die ökonomischen Folgen des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und der Sanktionsmaßnahmen u. a. der Europäischen Union sind gravierend. Auch im Rahmen dieser Krise können staatliche Finanzhilfen nur unter Berücksichtigung des Europäischen Beihilfenrechts gewährt werden.
Die Europäische Kommission hat am 23.03.2022 mit dem Erlass eines sog. Befristeten Krisenrahmens reagiert. Mit dem Gemeinschaftsrahmen wird anerkannt, dass das Wirtschaftsleben der gesamten EU infolge der russischen Aggression beträchtlich gestört ist, und es werden Kriterien vorgegeben, nach denen die Kommission das ihr nach Art. 107 Abs. 3 lit. b) AEUV eingeräumte Ermessen bei der Genehmigung von Beihilfen zur Behebung der Störung ausübt. Der Rahmen präzisiert, wie die Mitgliedstaaten den in den Beihilfevorschriften vorgesehenen Spielraum nutzen können, um die Wirtschaft angesichts der Folgen der Invasion zu stützen.
Danach können folgende Arten von Beihilfen gewährt werden:
Der Krisenrahmen enthält daneben eine Reihe von Vorkehrungen zur Begrenzung von Beeinträchtigungen des fairen Wettbewerbs, u. a. auch Nachhaltigkeitskriterien. Er gilt in bestimmten Fällen rückwirkend ab dem 01.02.2022 und ist zunächst bis zum 31.12.2022 befristet, kann jedoch ggf. verlängert werden.
Der Befristete Krisenrahmen tritt neben eine Reihe von bestehenden Möglichkeiten zur Gewährung von Beihilfen im Einklang mit dem Unionsrecht. Insbesondere können Beihilfen unter dem neuen befristeten Krisenrahmen grundsätzlich mit Beihilfen unter dem befristeten Rahmen zur COVID‑19 Pandemie kombiniert werden (s. u.). Auch andere Finanzhilfen auf der Grundlage von Art. 107 Abs 3 lit. c) AEUV, z. B. in Verbindung mit den sog. Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien, können gewährt werden. Maßnahmen der öffentlichen Hand können darüber hinaus auch weiterhin auf bestehende Freistellungsverordnungen wie die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) oder die De‑Minimis‑Verordnung gestützt werden, ohne dass es einer gesonderten Genehmigung der Europäischen Kommission bedürfte. Das Gleiche gilt für Maßnahmen, die als beihilfenfrei qualifiziert werden können.
Fast genau vor zwei Jahren, unmittelbar nach Ausbreitung der Pandemie auch in Europa, hat die Europäische Kommission am 19.03.2020 einen ähnlichen Gemeinschaftsrahmen angenommen, den Befristeten COVID‑19‑Rahmen. Damit hat sie unmittelbar auf die Ausbreitung der COVID‑19‑Pandemie in Europa reagiert. Vorbild dafür war ein vergleichbarer Gemeinschaftsrahmen, den die Kommission in Reaktion auf die weltweite Finanzkrise 2008/2009 erlassen hatte. Auf der Grundlage des Befristeten COVID‑19‑Rahmens, der insgesamt sechsmal ausgeweitet und verlängert wurde (vgl. konsolidierte Fassung aus November 2021), haben die Mitgliedstaaten bis heute unzählige Beihilferegelungen und Maßnahmen zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen von COVID angemeldet (s. unsere vorherigen Newsletter zum Thema Beihilfenrecht und COVID).
Mittlerweile umfasst dieser Gemeinschaftsrahmen insbesondere Kriterien für die Vereinbarkeit folgender Beihilfemaßnahmen:
Zuletzt wurden die beiden letztgenannten Instrumente eingeführt, die direkte Anreize für private Investitionen für zukunftsgerichtete Investitionsförderung und Solvenzhilfe bieten. Das Instrument zur Investitionsförderung soll dazu beitragen, die durch die Krise verursachte Investitionslücke zu schließen. Das Instrument für befristete Solvenzhilfen soll Anreize schaffen, um private Mittel für Investitionen in kleine und mittlere Unternehmen (KMU) einschließlich Start‑ups und kleine Unternehmen mittlerer Kapitalisierung zu mobilisieren.
Nun sollen die meisten Instrumente des Befristeten COVID‑19‑Rahmens zum 30.06.2022 auslaufen. Die Kommission hört hierzu gegenwärtig die Mitgliedstaaten an. Sollte es dabei bleiben, so bedeutete dies dennoch nicht zwangsläufig das abrupte Ende der Unterstützungsmöglichkeiten: So stehen insbesondere die beiden neuen Instrumente für einen zusätzlichen befristeten Zeitraum zur Verfügung, und zwar bis zum 31.12.2022 (Instrument zur Investitionsförderung) bzw. bis zum 31.12.2023 (Instrument für befristete Solvenzhilfen). Daneben können auch andere Unterstützungsmaßnahmen eine bestimmte Zeit über den Geltungszeitraum des COVID‑19‑Rahmens hinaus in Anspruch genommen werden – teilweise allerdings nur, soweit sie vor dem Auslaufen des Gemeinschaftsrahmens gewährt bzw. genehmigt wurden. Dies gilt insbesondere für Staatsgarantien und vergünstigte Kredite. Daneben besteht für einen befristeten Zeitraum nach Auslaufen des Gemeinschaftsrahmens die Möglichkeit, auf dessen Grundlage gewährte rückzahlbare Instrumente (z. B. Garantien, Darlehen, rückzahlbare Vorschüsse) in andere Beihilfeformen wie direkte Zuschüsse umzuwandeln, sofern deren Voraussetzungen erfüllt sind. Sollte es erneut zu COVID‑bedingten Schließungsanordnungen für bestimmte Unternehmen/Einrichtungen kommen, wäre unabhängig vom Auslaufen des Befristeten COVID‑19‑Rahmens eine Notifizierung besonderer Kompensationsmaßnahmen unmittelbar auf der Grundlage des EU‑Primärrechts (Art. 107 Abs. 2 lit. b) AEUV) möglich.
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