Die ökonomischen Folgen der Corona‑Krise sind gravierend. Bundesregierung und Europäische Union haben im Eiltempo mit beispiellosen Maßnahmenpaketen reagiert. Auch im Rahmen der Krise können staatliche Finanzhilfen nur unter Berücksichtigung des Europäischen Beihilfenrechts gewährt werden. Vorbild hierfür ist die Finanzkrise 2008/2009, wobei nun kein Wirtschaftsbereich verschont zu bleiben scheint.
Das Unionsrecht enthält zwei Grundlagen, die in Krisenzeiten eine erleichterte Gewährung staatlicher Beihilfen ermöglichen soll:
Die Europäische Kommission hat am 19.03.2020 einen vorübergehenden Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft in der Corona‑Krise erlassen (temporary framework). Der Gemeinschaftsrahmen gibt die Leitlinien vor, wie die Kommission ihr Ermessen bei der Genehmigung von Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats (Art. 107 Abs. 3 lit. b) AEUV) ausübt. Im Rahmen der Finanzkrise ist ein vergleichbarer Gemeinschaftsrahmen mit begleitenden Regelungen erlassen worden.
Der Gemeinschaftsrahmen für die Bewältigung der Corona‑Krise sieht u. a. Folgendes vor:
Die Kommission hat außerdem eine Vorlage (template) veröffentlicht, um den Mitgliedstaaten beim der Formulierung von Beihilfemaßnahmen zum Ausgleich von Schäden aus „außergewöhnlichen Ereignissen“ behilflich zu sein. Die Vorlage enthält Sonderregeln für den Transportsektor.
Darüber hinaus arbeitet die Kommission bereits an einer ersten Ausweitung des Gemeinschaftsrahmens und hat am 27.03.2020 einen entsprechenden Vorschlag an die Regierungen der Mitgliedstaaten zur Konsultation verschickt. Danach soll u. a. mehr Unterstützung für Forschung und Entwicklung (R&D) im Zusammenhang mit dem Coronavirus ermöglicht werden; die Hilfen sollen besonders hoch ausfallen können, wenn die Mitgliedstaaten dabei grenzüberschreitend zusammenarbeiten.
Am 03.04.2020 hat die Kommission eine erste Änderung des neuen Gemeinschaftsrahmens beschlossen. Danach wird der befristete Rahmen um weitere fünf Arten von Beihilfemaßnahmen erweitert:
Die Änderungsmitteilung enthält auch Angaben zu den Kumulationsmöglichkeiten der verschiedenen Beihilfearten.
Am 08.05.2020 hat die Kommission den neuen Gemeinschaftsrahmen ein zweites Mal ausgeweitet. Die Mitgliedstaaten können Unternehmen in Not nun Rekapitalisierungen und nachrangiges Fremdkapital gewähren, und zwar in Form von Rekapitalisierungsregelungen oder Einzelbeihilfen. Bei der Genehmigung von Beihilferegelungen wird die Kommission verlangen, dass Beihilfen, die einen Wert von 250 Mio. EUR übersteigen, für Einzelbewertungen gesondert angemeldet werden.
Voraussetzungen für die Genehmigung von Rekapitalisierungen sind u. a.:
Für die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, Unternehmen zu günstigen Bedingungen mit nachrangigem Fremdkapital zu unterstützen, setzt der befristete Rahmen u. a. eine höhere Vergütung und stärkere Beschränkungen hinsichtlich des Betrages voraus.
Mit einer dritten Ausweitung des befristeten Gemeinschaftsrahmens vom 29.06.2020 wird den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt, kleinen und Kleinstunternehmen (weniger als 50 Beschäftigte und Jahresumsatz und/oder Jahresbilanzsumme von weniger als 10 Mio. EUR) staatliche Unterstützung zu gewähren, auch wenn sich diese Unternehmen am 31.12.2019 bereits in finanziellen Schwierigkeiten befanden. Damit werden insbesondere Beihilfen für Start‑Ups ermöglicht, die häufig unter die Definition der Unternehmen in Schwierigkeiten fallen. Ausgenommen von der Ausweitung sind allerdings Unternehmen, die Gegenstand eines Insolvenzverfahrens sind, die noch nicht zurückgezahlte Rettungsbeihilfen erhalten haben oder die einem beihilfenrechtlichen Umstrukturierungsplan unterliegen.
Weiter soll die dritte Änderung des Rahmens Anreize für private Investoren schaffen, sich an staatlichen Rekapitalisierungsbeihilfen von Unternehmen zu beteiligten. Dazu werden das Übernahmeverbot, die Obergrenze für Vergütungen der Geschäftsleitung sowie das Dividendenverbot des Gemeinschaftsrahmens bei privaten Beteiligungen in bestimmter Höhe angepasst.
Darüber hinaus stellt die Kommission klar, dass staatliche Unterstützung nicht an die Bedingung geknüpft werden darf, dass der Empfänger seine Tätigkeiten in den gewährenden Mitgliedstaat verlagert.
Die Kommission hat außerdem am 27.03.2020 beschlossen, vorübergehend alle Länder aus dem Verzeichnis der „Staaten mit marktfähigen Risiken“ nach der Mitteilung zur Anwendung des Beihilfenrechts auf kurzfristige Exportkreditversicherungen zu nehmen. Diese Mitteilung, die seit 2013 in Kraft ist, sieht vor, dass der Handel zwischen den EU‑Mitgliedstaaten sowie weiteren im Einzelnen aufgeführten OECD‑Ländern lediglich mit marktfähigen Risiken verbunden ist, sofern die Höchstrisikolaufzeit weniger als zwei Jahre beträgt. Staatliche oder staatlich unterstützte Versicherer dürfen solche Risiken daher grundsätzlich nicht versichern. Diese Grundsätze werden zunächst bis zum 31.12.2020 ausgesetzt. Nach der Änderung der Mitteilung werden staatliche Versicherer grundsätzlich Versicherungsschutz für kurzfristige Exportkreditrisiken für alle Länder anbieten dürfen, ohne dass der jeweilige Mitgliedstaat nachweisen müsste, dass die Risiken im betreffenden Land vorübergehend „nicht marktfähig“ sind.
Die Kommission hat seit dem 11.03.2020 bereits über zahlreiche Maßnahmen zur Bewältigung der Corona‑Krise von verschiedenen EU‑Mitgliedstaaten sowie UK entschieden.
Deutschland hat noch am Tag der Verabschiedung des neuen Gemeinschaftsrahmens der Kommission ein KfW‑Sonderprogramm zur Genehmigung vorgelegt. Das Sonderprogramm richtet sich an KMU und Großunternehmen, die krisenbedingt vorübergehend in besonders ernsthafte Finanzierungsschwierigkeiten geraten und daher grundsätzlich keinen Zugang zu den (ausgeweiteten) bestehenden KfW‑Kreditinstrumenten haben. Die entsprechenden Zinssätze werden gesenkt. Bei Krediten bis zu 3 Mio. Euro verzichtet die KfW auf eine eigene Risikoprüfung zusätzlich zur Prüfung der Geschäftsbank. Zudem erhöht die KfW ihre Beteiligung am Ausfallrisiko der Geschäftsbanken auf bis zu 90 % bei Krediten für KMU und bis zu 80 % bei Krediten für Großunternehmen. Darüber hinaus umfasst das Programm eine Konsortialfinanzierung. Die Kommission hat das Sonderprogramm am 22.03.2020 genehmigt. Anträge können seitdem über die Hausbank gestellt werden.
Weiter besteht die Möglichkeit, dass die Bundesländer Kreditprogramme aufsetzen, die die guten Förderkonditionen des KfW‑Sonderprogramms anwenden. Eine neue Regelung, die die Kommission am 02.04.2020 genehmigt hat, ermöglicht es, dass auch Landesförderinstitute Kreditprogramme mit den gleichen günstigen Konditionen gewähren können, wie sie im Rahmen des KfW‑Sonderprogramms für die KfW gelten.
Bund und die Länder haben außerdem ein Bürgschaftsprogramm für Unternehmen beschlossen, die bis zum Ausbruch der Corona‑Krise nicht in Schwierigkeiten waren. Anträge auf Bürgschaften bis zu einer Höhe von 2,5 Mrd. Euro für Betriebsmittelkredite sind an die von der regionalen Wirtschaft getragenen Bürgschaftsbanken zur richten. Der Bund und das jeweilige Bundesland übernehmen Rückbürgschaften. Über den Garantiebetrag von 2,5 Mrd. Euro hinausgehende Bürgschaften für Betriebsmittel- und Investitionsdarlehen werden von den öffentlichen Förderinstituten der Länder bereitgestellt. Bei Darlehen an Unternehmen in strukturschwachen Regionen beteiligt sich der Bund ab einem Bürgschaftsbetrag i. H. v. 20 Mio. Euro zu 50 % am Haftungsrisiko. In allen anderen Regionen übernimmt der Bund ab einem Bürgschaftsbetrag i. H. v. 50 Mio. Euro bis zu 80 % des Bürgschaftsobligos. Mindestens 20 % des Haftungsrisikos muss von der Hausbank selbst getragen werden. Die Risikobeteiligung des Bundes und der Länder ermöglicht eine Kreditvergabe zu vergleichsweise günstigen Konditionen. Auch diese Maßnahmen sind von der Kommission am 24.03.2020 genehmigt worden. Maßnahmen des Bürgschaftsprogramms und des KfW‑Sonderprogramms können nach dem neuen Gemeinschaftsrahmen nicht kombiniert werden, soweit dies denselben Kredit betrifft.
Für Großunternehmen (mindestens 250 Beschäftigte Bilanzsumme von mehr als 43 Mio. Euro und Umsatzerlöse von mehr als 50 Mio. Euro) hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrats ein Gesetz zur Errichtung eines Wirtschaftsstabilisierungsfonds („WStFG“) beschlossen. Vorbild ist der während der Finanzkrise geschaffene Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin). Für die Errichtung des neuen Fonds werden die seinerzeit verabschiedeten gesetzlichen Grundlagen mit Vorschriften über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds ergänzt und angepasst. Über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds übernimmt der Bund Liquiditätsgarantien und beteiligt sich direkt an Unternehmen. Vorgesehen sind ein Garantierahmen i. H. v. 400 Mrd. Euro sowie eine Kreditermächtigung i. H. v. 100 Mrd. Euro, über die u. a. der Erwerb von Unternehmensanteilen oder stillen Beteiligungen refinanziert werden soll. Die Regelung zum Fonds steht ebenfalls unter dem Vorbehalt der beihilfenrechtlichen Genehmigung durch die EU‑Kommission, welche am 08.07.2020 erteilt wurde.
Im Bereich Forschung und Entwicklung hat die Kommission am 29.04.2020 eine Rahmenregelung Deutschlands genehmigt. Auf Grundlage der „Bundesregelung Forschungs‑, Entwicklungs- und Investitionsbeihilfen“ können Behörden auf Bundes‑, Länder- und kommunaler Ebene direkte Zuschüsse, rückzahlbare Vorschüsse und Steuervorteile (ggf. kombiniert mit Verlustausgleichsgarantien) für die Entwicklung und Herstellung von Produkten gewähren, die für die Bewältigung des Coronavirus‑Ausbruchs von unmittelbarer Bedeutung sind.
Ein weiterer Schutzschirm, den die Bundesregierung gemeinsam mit den Kreditversicherern aufgesetzt hat, betrifft Lieferantenkredite, die Unternehmen vor Zahlungsausfällen von Abnehmern im In- und Ausland schützen sollen. Der Bund übernimmt eine Garantie auf bis Ende dieses Jahres vergebene Handelskredite für Entschädigungszahlungen der Kreditversicherer in Höhe von bis zu 30 Milliarden Euro. Der Garantiemechanismus sieht eine Risikoteilung zwischen den Versicherern und dem Staat bis zu einem Volumen von 5 Mrd. Euro vor. Diese Maßnahme hat die Kommission am 14.04.2020 genehmigt.
Für Soforthilfen für Kleinstunternehmen Deutschlands liegt seit dem 24.03.2020 eine Genehmigung der Kommission vor, die mittlerweile in ein mit 25 Mrd. Euro ausgestattetes branchenübergreifendes Zuschussprogramm umgesetzt wurde (vgl. dazu auch unseren Newsletter zum Zuwendungsrecht). Für ein KfW‑Schnellkreditprogramm für den Mittelstand ist die Genehmigung am 11.04.2020 erteilt worden.
Bei der weiteren Bewältigung der Corona‑Krise kommen auch Einzelbeihilfen für Unternehmen in Betracht, die nach den erwähnten neuen Regeln gestaltet und geprüft werden können. Denkbar sind ferner Einzelmaßnahmen außerhalb der Schwellenwerte des neuen Gemeinschaftsrahmens sowie Finanzhilfen auf der Grundlage von Art. 107 Abs 3 lit. c) AEUV in Verbindung mit den sog. Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien.
Maßnahmen der öffentlichen Hand können weiterhin auf bestehende Freistellungsverordnungen wie die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) oder die De‑Minimis‑Verordnung gestützt werden, ohne dass es einer gesonderten Genehmigung der Europäischen Kommission bedarf. Die Freistellungen der AGVO wurden hierzu am 02.07.2020 vorübergehend (bis zum 30.06.2021) unter bestimmten Umständen auf Unternehmen in Schwierigkeiten ausgeweitet, die bislang davon ausgeschlossen waren.
Ebenfalls keiner Genehmigung bedarf es für Maßnahmen, die als beihilfenfrei qualifiziert werden können. Darauf hat die Kommission bereits zu Beginn der Krise in einem FAQ (frequently asked questions) hingewiesen. Dies betrifft die Unterstützung von Privatleuten (Verbrauchern, Arbeitnehmern, Patienten) und Maßnahmen, die gleichermaßen allen Unternehmen zugutekommen, wie z. B. Lohnzuschüsse oder die Aussetzung von Unternehmens- und Mehrwertsteuern oder Sozialabgaben. Laut Kommission können auch finanzielle Hilfen der EU oder aus nationalen Fonds für Gesundheits- und andere öffentliche Dienste als beihilfefrei zu bewerten sein.
Dr Andreas Rosenfeld
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Dr Leslie Manthey, LL.M. (Cambridge)
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