Gleich mehrere bislang umstrittene Fragen bei der Kündigung schwerbehinderter Menschen im Zusammenhang mit der gesetzlich vorgesehenen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung hat das BAG in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Urteil vom 13.12.2018 (2 AZR 378/18) geklärt.
In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens 5 schwerbehinderte oder diesen gleichgestellte behinderte Menschen nicht nur vorübergehend beschäftigt sind, werden eine Vertrauensperson und wenigstens ein stellvertretendes Mitglied gewählt, dass die Vertrauensperson im Falle der Verhinderung vertritt. Wahlberechtigt sind alle in dem betreffenden Betrieb oder der Dienststelle beschäftigten schwerbehinderten oder diesen gleichgestellte behinderte Menschen, §§ 177, 151 Abs. 1 SGB IX.
Der Arbeitgeber hat die Schwerbehindertenvertretung gem. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten behinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören; er hat ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist die Kündigung, die der Arbeitgeber ohne eine Beteiligung nach Satz 1 ausspricht, unwirksam.
Diese Entscheidung des BAG schafft in vielen Fragen Rechtssicherheit und ist daher zu begrüßen. Sie verdeutlicht allerdings auch die Komplexität, die mit der Kündigung von schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten behinderten Menschen verbunden ist.
Offen ist, ob das Bundesarbeitsgericht der Ansicht des LAG Hamm folgen wird, wonach die Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nur dann unverzüglich und die Anhörung derselben nur dann ordnungsgemäß sein soll, wenn beide zeitlich vor der Stellung des Zustimmungsantrags nach den §§ 168 ff SGB IX vorgenommen werden (LAG Hamm vom 11.10.2018 – 15 Sa 426/18, Revision anhängig beim BAG unter 2 AZR 40/19).
Das LAG Berlin‑Brandenburg hat entschieden, dass ein öffentlicher Arbeitgeber, der nach einer Stellenausschreibung Auswahlgespräche durchführt, schwerbehinderte Bewerber nach § 165 Satz 3 SGB IX auch dann zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen hat, wenn die Stelle nur intern ausgeschrieben wurde.
Bewerbe sich der schwerbehinderte Bewerber um mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil, sei grundsätzlich für jede Bewerbung ein Vorstellungsgespräch zu führen; die Einladung zu nur einem Gespräch sei nur dann ausreichend, wenn das Auswahlverfahren identisch sei, die Auswahlkommissionen sich aus denselben Personen zusammensetze und zwischen den jeweiligen Auswahlentscheidungen nur wenige Wochen lägen (Urteil vom 1.11.2018 – 21 Sa 1643/17).
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich bei der beklagten Bundesagentur um zwei intern ausgeschriebene Stellen mit identischem Anforderungsprofil in Berlin und Cottbus beworben. Die Beklagte lud den Kläger wegen der in Berlin zu besetzenden Stelle zu einem Auswahlgespräch ein; wegen der Stelle in Cottbus wurde der Kläger nicht zu einem derartigen Gespräch eingeladen. Nachdem der Kläger für beide Stellen nicht berücksichtigt worden war, hat er einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG geltend gemacht.
Das BAG hat bereits im Urteil vom 12.9.2006 (9 AZR 807/05) ausgeführt, dass die grundsätzliche Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen die Möglichkeit eines Vorstellungsgesprächs zu eröffnen, auch dann greift, wenn die fachliche Eignung zwar zweifelhaft aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Insoweit sei der schwerbehinderte Bewerber im Bewerbungsverfahren besser gestellt als der nicht schwerbehinderte Konkurrent. Selbst wenn sich der Arbeitgeber aufgrund einer anhand der Bewerbungsunterlagen getroffenen Vor‑Auswahl von vornherein die Meinung gebildet habe, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl einbezogen werden sollte, müsse er den schwerbehinderten Bewerber nach der gesetzlichen Intention einladen und ihm die Möglichkeit eines Vorstellungsgesprächs gewähren. Denn dieser solle im Rahmen des Vorstellungsgesprächs die Chance erhalten, den Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen. Werde ihm diese Möglichkeit genommen, liege darin eine weniger günstige Behandlung als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält. Der zugleich damit verbundene Ausschluss aus dem weiteren Bewerbungsverfahren stelle sich als eine Benachteiligung dar, die in einem ursächlichen Zusammenhang mit der Behinderung stehe.
Im Urteil vom 22.8.2013 (8 AZR 563/12) hat es dies bekräftigt und ergänzend ausgeführt, dass allein die unterbliebene Einladung eine geeignete Hilfstatsache im Sinne von § 22 AGG sei, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Benachteiligung wegen der Behinderung spreche. Dieser Verfahrensfehler könne auch nicht nachträglich „geheilt“, der Verstoß also nicht „rückgängig“ oder quasi „ungeschehen“ gemacht werden. Durch die nachträgliche Einladung werde die ursprüngliche Nichteinladung und schriftliche Absage nicht zu einem rechtlich unbeachtlichen „nullum“. Im Übrigen würde die nachträgliche Einladung einem zuvor abgelehnten Bewerber auch de facto nicht dieselbe Chance wie eine ursprüngliche Einladung eröffnen, sondern, wenn überhaupt, nur eine erheblich verminderte Chance, insoweit liege sogar ein deutliches „Minus“, wenn nicht sogar einen „Malus“ vor. Dies liege für einen abge‑lehnten Bewerber, der nach erfolgter Ablehnung einen Entschädigungsanspruch wegen Diskriminierung geltend macht, auf der Hand. Es sei weder zu erwarten, dass er selbst unbefangen in ein „nachgeholtes“ Vorstellungsgespräch geht, noch könne davon ausgegangen werden, dass der potentielle Arbeitgeber das (anwaltliche) Sich‑zur‑Wehr‑Setzen auszublenden vermag. Eine nachträgliche Einladung sei somit „kein funktional angemessener Ersatz für die unterbliebene Einladung“. Ein nachträglich geführtes Vorstellungsgespräch besitze nicht dieselbe tatsächliche oder rechtliche Qualität wie ein von vornherein anberaumtes Gespräch. Eine nachträgliche und rückwirkende „Heilung“ wäre zudem mit der Struktur des AGG und insbesondere den insoweit geltenden strikten Fristenregelungen nicht vereinbar. Sei der Entschädigungsanspruch einmal entstanden, müsse sich der benachteiligte Bewerber darauf verlassen dürfen, dass einem einmal entstandenen Anspruch nicht während noch laufender Fristen nachträglich der Boden entzogen werde.
Für die Erschütterung der Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung ist es erforderlich, dass der Arbeitgeber das Gericht davon überzeugt, dass die Benachteiligung nicht (auch) auf der Behinderung beruht. Damit müsse er Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung geführt haben und im Motivbündel des Arbeitgebers weder die Behinderung als negatives noch die fehlende Behinderung als positives Kriterium enthalten war (BAG vom 16.2.2012 – 8 AZR 697/10). Vor diesem Hintergrund werden inzwischen erhebliche Anforderungen an die Erstellung von Auswahlvermerken gestellt.
Axel Groeger
partner
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