Das Bundeskabinett hat unter dem 27.11.2024 die „umfassende und praxistaugliche Reform“ des Vergaberechts beschlossen. Mit Blick auf die derzeitige politische Entwicklung ist es zwar nicht auszuschließen, dass der Gesetzesentwurf zur Transformation des Vergaberechts gleichwohl (vorerst) auf der Strecke bleibt. Die angestrebte Vereinfachung, Digitalisierung und Beschleunigung von Vergabeverfahren sowie die Absicht, öffentliche Beschaffungen wirtschaftlich, sozial, ökologisch und innovativ zu gestalten, ist und bleibt jedoch ein durchaus praxisrelevantes Thema.
Anstatt wie bisher auf zahlreichen verschiedenen Websites Veröffentlichungen vorzunehmen und einzusehen, sollen alle öffentlichen Ausschreibungen im Ober- und Unterschwellenbereich auf einer zentralen Plattform gebündelt werden.
Dies birgt den Vorteil, dass interessierte Bieter nur noch eine Plattform im Blick behalten und auch nur noch auf einer Plattform registriert sein müssten, um alle für sie interessanten Ausschreibungen zu finden. Eine Erleichterung des Such- wie Registrierungsaufwands könnte die Anzahl der Beteiligung bei Angebotsabgaben erhöhen und damit zugleich den Wettbewerb im Verfahren stärken.
Weniger aus rechtlicher als vielmehr aus praktischer Sicht, wären jedoch bei einer technischen Störung nicht nur bestimmte Vergabeverfahren vorübergehend nicht mehr auffindbar, sondern sämtliche. Die rein technische Ausgestaltung der Website müsste der Fülle an Ausschreibungen – insbesondere im Baubereich regelmäßig mit nicht unerheblichen Datenmengen an Unterlagen verbunden – gewachsen sein. Technisch möglich ist dies sicherlich. Die reale Umsetzung bliebe jedoch abzuwarten.
Auch im Bereich der Nachprüfungsverfahren soll ein Bürokratieabbau erfolgen. Nachprüfungsanträge sollen in Textform eingereicht werden können, sodass eine E‑Mail zur Stellung eines Nachprüfungsantrags ausreichen würde. Doch würde dies nicht potenziell zu mehr Nachprüfungsverfahren führen und damit die mit dem Transformationspaket ebenfalls angestrebte Beschleunigung von Vergabeverfahren wieder torpediert werden? Eine Frage, die nur die Praxis wird beantworten können.
Öffentliche Auftraggeber sind bisher grundsätzlich verpflichtet, ihre Leistungen so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben. Der Begriff „erschöpfend“ soll nach den Reformplänen gestrichen werden.
Neben einer Erleichterung für den Auftraggeber bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung kann damit auch der Aufwand für Unternehmen bei der Durcharbeitung der Leistungsbeschreibung zur Angebotserstellung reduziert werden.
Ob und ggf. wie sich die Streichung des Begriffs auf die Nachtrags‑Praxis auswirken würde, bliebe abzuwarten.
Es besteht daneben das Risiko, dass die Streichung in der (Bau‑)Praxis zu Unklarheiten bei der Leistungsausführung und damit Verzögerung führen würde, weil die Leistungsbeschreibung (viele) Fragen offen lassen würde.
Nicht zuletzt der Arbeitskreis II – Vergaberecht hatte beim 9. Baugerichtstag in Hamm die Empfehlung an den Gesetzgeber ausgesprochen, dass Klimaschutz und Nachhaltigkeit vom Auftraggeber in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt werden sollen.
Der Entwurf sieht nunmehr vor, dass öffentliche Auftraggeber im Regelfall dazu verpflichtet werden sollen, mindestens ein soziales oder ein umweltbezogenes Kriterium zu berücksichtigen. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten ist dieser Schritt beachtenswert. Allerdings werden entsprechende Kriterien nach Möglichkeit und Bedarf auf freiwilliger Basis bereits jetzt von öffentlichen Auftraggebern herangezogen. In der Praxis würde sich bei einer Verpflichtung die Frage stellen, inwieweit wirklich bei jeder Leistung im Einzelfall solche Faktoren einbezogen werden können, ohne Auftraggeber vor die Herausforderung zu stellen, dass mit der Forderung bestimmter sozialer oder umweltbezogener Aspekte der Wettbewerb im Einzelfall erheblich eingeschränkt wird.
Der Grundsatz der losweisen Vergabe soll grundsätzlich bestehen bleiben, für den Auftraggeber jedoch zugleich die Möglichkeit eröffnet werden, seine Auftragnehmer zur Untervergabe zu verpflichten und so mittelständische Interessen zu fördern. Inwiefern dies de facto zu einer Stärkung dieser Interessen führen wird, ist fraglich. Das praktische Interesse, mehr Auftragnehmer tätig werden zu lassen, bleibt insbesondere bei komplexen Vorhaben, die regelmäßig als Gesamtvergabe ausgeschrieben werden, abzuwarten.
Bei der Gesamtvergabe sollen nunmehr auch zeitliche Gründe ausdrücklich zur Begründung herangezogen werden können. Diese geplante Erweiterung erscheint grundsätzlich – je nach Handhabung in der Rechtsprechung – geeignet, die Möglichkeiten der öffentlichen Auftraggeber zur Gesamtvergabe zu stärken. Ob zugleich die angestrebte Herabsetzung der Begründungstiefe für die Gesamtvergabe durch einen Wechsel von einem „Erfordern“ hin zu einem „Rechtfertigen“ tatsächlich erreicht werden könnte, ist fraglich. Es steht mit Blick auf die allgemeine Risikoverteilung im Vergaberecht zudem nicht zu erwarten, dass der typische Mehraufwand einer Losvergabe für sich genommen einen zeitlichen Grund darstellen würde. Lediglich eine Beschleunigung der Leistungserbringung als solche, insbesondere bei allgemein bedeutenden Projekten wie dem Infrastrukturausbau, dürfte in Betracht kommen.
Mit dem neuen Entwurf will der Gesetzgeber öffentlichen Auftraggebern auch ermöglichen, seriöse Bieter vor Dumping‑Preisen zu schützen. Das bisherige Ermessen des Auftraggebers, ungewöhnliche niedrige Angebote nicht auszuschließen, soll dahingehend eingeschränkt werden, dass diese im Regelfall auszuschließen sind, sofern die Preise nicht aufgeklärt werden können. Inwieweit hier wirklich der Wettbewerb geschützt und nicht die eigentlich grundsätzlich mögliche knappe Kalkulation eingeschränkt werden würde, ist offen.
Planungs- und Bauleistungen können in einem einheitlichen Bauauftrag vergeben werden. Zwingend soll dies jedoch nach dem Entwurf nicht sein, sondern vielmehr eine zeitlich getrennte Vergabe möglich sein, ohne dass die Planung nicht mehr als Teil eines einheitlichen Bauauftrages angesehen werden würde. Wird die Planung losweise vergeben, so soll die Vergabe nach den entsprechenden Regelungen für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen vergeben werden.
Die in der Praxis nicht unumstrittene Frage, ob Planungsleistungen bei der Schwellenwertberechnung zu Bauleistungen addiert werden können, scheint damit weiterhin offen zu bleiben.
Im Unterschwellenbereich soll der Wert für Direktaufträge auf EUR 15.000,00 erhöht werden. Die damit einhergehende Erleichterung für den öffentlichen Auftraggeber, der bis zu der Schwelle kein Vergabeverfahren mehr durchführen müsste, geht zugleich mit einer Einschränkung des Wettbewerbs einher.
Das Vergaberechtstransformationspaket enthält durchaus Potential, Formalien, Zeitaufwand und Einschränkungen im Vergaberecht zu reduzieren. Ob jedoch die Risiken und Chancen sich die Waage halten und welche langfristigen Folgen diese Veränderungen haben würden, würde nur die Praxis zeigen können.
Sarah‑Maria Gerber
associate
attorney
(gerber@redeker.de)
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