§ 642 BGB erfordert eine Abwägungsentscheidung des Tatrichters auf der Grundlage der in § 642 Abs. 2 BGB genannten Kriterien. Dabei ist die angemessene Entschädigung im Ausgangspunkt an den auf die unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel entfallenden Vergütungsanteilen einschließlich der Anteile für allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn zu orientieren.(Leitsatz nach BGH, Urteil vom 30.01.2020 – VII ZR 33/19)
Die vorliegende Entscheidung ergänzt das vielbeachtete Urteil des BGH vom 26.10.2017 (BGH, Urteil vom 26.10.2017 – VII ZR 16/17). Seinerzeit hatte der BGH insbesondere entschieden, dass § 642 BGB dem Unternehmer eine angemessene Entschädigung dafür gewährt, dass er während der Dauer des Annahmeverzugs des Bestellers Personal, Geräte und Kapital als Produktionsmittel vorhält. Der Unternehmer erhält jedoch keine Entschädigung für Mehrkosten (etwa Lohn- und Materialkosten), die zwar aufgrund des Annahmeverzugs des Bestellers, aber erst nach dessen Beendigung anfallen. Wie die Höhe der angemessenen Entschädigung im Einzelnen zu bestimmen ist, ließ der Senat damals jedoch offen. Mit dem vorliegenden Urteil erfolgt nunmehr eine Klärung durch den BGH.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Entschädigung aus einem nach öffentlichem Vergabeverfahren unter Einbeziehung der VOB/B geschlossenen Bauvertrag über die Errichtung mehrerer Gebäude in Anspruch. Wegen Verzögerungen im Vergabeverfahren und im Bauablauf beruft sich die Klägerin gemäß § 642 BGB darauf, während des Annahmeverzugs der Beklagten einen Anspruch auf angemessene Entschädigung zu haben.
Das Landgericht Berlin wies die Klage ab. Die Berufung beim Kammergericht (KG Berlin, Urteil vom 29.01.2019 – 21 U 122/18) blieb erfolglos. Das Kammergericht lehnte hinsichtlich des einen Sachverhaltskomplexes bereits das Vorliegen eines Annahmeverzugs ab. Bei dem anderen streitgegenständlichen Gebäude („Schulerweiterung“) war aus Sicht des Kammergerichts zwar ein Annahmeverzug gegeben. Ein Anspruch aus § 642 BGB auf angemessene Entschädigung scheiterte aber daran, dass der Klägerin während der Dauer des Annahmeverzugs kein Nachteil durch die vergebliche Vorhaltung von Produktionsfaktoren entstanden sei. Weder ein zeitbezogener Umsatzverlust, noch die Nichterwirtschaftung von Deckungsbeiträgen stellten einen Nachteil dar, der einen Anspruch aus § 642 BGB begründen könnte.
Soweit das Kammergericht bei dem Gebäude Schulerweiterung einen Anspruch aus § 642 BGB an dem Fehlen eines Nachteils des Unternehmers scheitern ließ, hat der BGH das Urteil des Kammergerichts aufgehoben.
Zunächst stellt der BGH unter Bezugnahme auf seine bisherige Rechtsprechung klar, dass ein Nachteil in Form von Vorhaltekosten für vergeblich bereitgehaltene Produktionsmittel keine anspruchsbegründende Voraussetzung für eine angemessene Entschädigung gemäß § 642 BGB ist. § 642 BGB setzt demnach nur voraus, dass der Besteller in Annahmeverzug gerät. Dies setzt wiederum voraus, dass der Besteller eine für die Herstellung des Werks erforderliche Mitwirkungshandlung unterlässt.
Ausgehend von der Feststellung, dass die Frage der Bemessung des Anspruchs bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist, legt der BGH sodann sein Verständnis der Festlegung der angemessenen Vergütung im Rahmen des § 642 BGB dar:
§ 642 BGB erfordert demnach eine Abwägungsentscheidung des Tatrichters auf Grundlage der in § 642 Abs. 2 BGB genannten Kriterien. § 642Abs. 2 BGB lautet im Wortlaut:
(2) Die Höhe der Entschädigung bestimmt sich einerseits nach der Dauer des Verzugs und der Höhe der vereinbarten Vergütung, andererseits nach demjenigen, was der Unternehmer infolge des Verzugs an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann.
Dem entnimmt der BGH im Einzelnen vier Kriterien:
Maßgeblich ist zunächst welche Produktionsmittel für die Dauer des Annahmeverzugs vorgehalten wurden.
Die Entschädigung orientiert sich an den Vergütungsanteilen für die während des Annahmeverzugs unproduktiv bereitgehaltenen Produktionsmittel – ausdrücklich einschließlich der Anteile für allgemeine Geschäftskosten und Wagnis und Gewinn.
Allerdings ist zu berücksichtigen, was der Unternehmer sich infolge des Annahmeverzugs erspart (einschließlich darauf entfallender Anteile für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn) oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerben kann.
Dem Tatrichter soll im Rahmen dieser Abwägung bei der Ermittlung der Angemessenheit der Vergütung ein Ermessensspielraum zukommen. Zudem soll er die Möglichkeit zur richterlichen Schätzung nach § 287 ZPO haben.
Abzugrenzen ist diese Abwägung insoweit von der nach § 648 S. 2 BGB (§ 649 S. 2 BGB a. F.) vorzunehmenden Berechnung der Vergütung, die den Auftragnehmer besser stellen könnte. Neben dem Wortlaut folgt die Notwendigkeit der Abgrenzung insbesondere daraus, dass der Unternehmer im Falle des § 642 BGB seine Leistung weiterhin erbringt und seine vertraglich vereinbarte Vergütung später noch verdient, während diese Verdienstmöglichkeit im Falle der Kündigung entfällt.
Im Rahmen des § 642 BGB soll die angemessene Entschädigung nicht jedweden Nachteil des Unternehmers infolge des Annahmeverzugs ausgleichen. Die Höhe der angemessenen Entschädigung ist aber nicht auf den Ersatz der tatsächlich entstandenen Kosten beschränkt. Dies wäre mit dem vergütungsähnlichen Charakter des Anspruchs nicht vereinbar und stellte eine nur unzureichende Kompensation dar.
Hinsichtlich des im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigenden anderweitigen Erwerbs stellt der BGH klar, dass die Erwerbsmöglichkeit ausreicht. Ohne Bedeutung ist, ob es sich um einen sogenannten „echten Füllauftrag“ handelt, wie dies im Rahmen des § 648 S. 2 BGB (§ 649 S. 2 BGB a. F.) gefordert wird.
Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich dieser Kriterien trifft den Unternehmer. Dieser hat die Tatsachen für die von dem Tatrichter vorzunehmende Abwägungsentscheidung beizubringen. Auch insoweit grenzt der Bundesgerichtshof § 642 BGB von § 648 S. 2 BGB (649 S. 2 BGB a. F.) ab.
Dem Grunde nach setzt ein Anspruch aus § 642 BGB alleine einen Annahmeverzug des Bestellers voraus. Ein daraus folgender Nachteil des Unternehmers ist hingegen keine Anspruchsvoraussetzung und muss von dem Unternehmer daher im Prozess nicht dargetan werden.
Der BGH gibt dem erkennenden Gericht bei der Bestimmung der Höhe der angemessenen Entschädigung der Höhe nach ausdrücklich einen Ermessensspielraum, sodass anhand der vorgenannten Kriterien eine Entscheidung im Einzelfall ergeht, bei der auch eine richterliche Schätzung möglich ist. Eine Berechnung im mathematischen Sinne soll gerade nicht erfolgen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Gerichte diesen Entscheidungsspielraum nutzen können, ohne auf eine sachverständige Beurteilung zurückgreifen zu müssen.
Es liegt an dem Unternehmer, die für diese Abwägungsentscheidung maßgeblichen Tatsachen darzulegen und zu beweisen, wobei sich für den Unternehmer laut BGH daraus Erleichterungen ergeben können, dass das Gericht die Möglichkeit zur richterlichen Schätzung hat.
Dazu, ob und inwieweit die Beibringung der maßgeblichen Tatsachen eine bauablaufbezogene Darstellung erfordert, äußert sich der BGH zwar nicht ausdrücklich. Es dürfte aber feststehen, dass der Unternehmer zumindest darzulegen und erforderlichenfalls nachzuweisen hat, welche konkreten vertraglich vorgesehenen Leistungen er im Einzelnen während der Dauer des Annahmeverzugs nicht erbringen konnte. Hierzu muss er darlegen (und beweisen), welche Produktionsmittel dabei unproduktiv bereitgehalten wurden und welcher Vergütungsanteil hierauf entfällt. Außerdem muss der Unternehmer zu den von ihm ersparten Aufwendungen und den Möglichkeiten des anderweitigen Erwerbs vortragen, um die richterliche Abwägung zu ermöglichen. Dies dürfte einer bauablaufbezogenen Darstellung zumindest nahe kommen.
Fest steht nunmehr, dass im Rahmen der angemessenen Entschädigung des Unternehmers auch die allgemeinen Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn zu berücksichtigen sind, soweit diese Teil der von dem Annahmeverzug betroffenen Vergütungsanteile sind.
Markus Frank
associate partner
attorney
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